Seite - 122 - in Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich - Vastag-Villani, Band 50
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Vcrhovay 122 Verhovay
der Nation für diesen Zweck". Hierauf
wurde beschlossen, diese Nesolution durck
eine Deputation von 2!i Mitgliedern
dem Ministerpräsidenten Tisza sofort
zu übergeben. Da machte Redacteur
Verhovay den verhängnißvollen Vor»
schlag, die Anwesenden möchten alle die
Deputation begleiten. In Folge dessen
strömte die ungeheuere Masse der Ver-
sammelten gegen den vorderen Ausgang
des Versammlilngslocales, die ganze
Mlttelwand, alle Scheiben und Möbel-
stücke zertrümmernd. Die auf der Straße
stets wacksende Menge wälzte sieb über
die Kettenbrücke nack dem Palais des
Ministerpräsidenten. Dieser verlor keinen
Augenblick die Geistesgegenwart, auch
dann nicht, als die Massen die Thorein-
fahrt seines Palais zu stürmen begannen.
Der Versuch eines Bürgers, der aus dem
Volke hervortrat und es anrief: man
möge doch die Heiligkeit des Hausrechtes
ehren, war vergeblich. Tausend Stimmen
heulten ihm entgegen: „Man muß uns
anhören!" Plötzlich flog ein Stein in ein
Fenster des ersten Stockwerkes. Allge-
meines Gejohle begrüßte diese Helden-
lhat! Zwar forderten ein paar Abgeord'
nete, welche das Gan;e in Scene gesetzt
hatten, die Menge auf, sich nach Hause
zu begeben. Allein da trat Verhovay
vor, sprang auf einen Eckstein und rief:
„Das Volk hat heute Tisza abgesetzt,
man will uns nicht hören, gehen wir auf
den Calvinplatz, dort wollen wir unserer
Gesinnung Ausdruck verleihen". Und nun
brach der Hexensabbath los. Unter furcht-
barem Pfeifen und Kreischen wurden die
Laternen und mehrere Fenster des Pa»
lastes eingeschlagen. Jetzt erschienen
Polizeileute und suchten die Menge aus«
einanoerzutreiben, vergebens, sie mußten
vor dem fanatischen Haufen, der auf sie
eindrang, in die Thoreinfahrt flüchten. Erst als zwei Bataillone des mittlerwelle
herbeigerufenen Miliiars mit gefälltem
Bajonnete gegen die Massen vorrückten,
begannen diese sich zu lichten und unter
dem beständigen Rufe: „I^r-eat Tisza>
Andrässy!" wogte die Menge durch
die Albrechrsstraße nach dem Calvinplatze,
auf welchem Studenten politische Reden
hielten, wonach das Volk sich allmälig
verlief. Das war die erste große That
in Verhovay's politischem Leben. Das
Nachspiel, welches Tags darauf im Parla-
mente stattfand, wo die Ausschreitungen
des vorigen Tages zur Sprache kamen
und Tisza in Aussicht stellte, ähn-
liche Volksversammlungen zu verbieten,
gipfelte in der Beftduldigung, welche der
Abgeordnete Madarasz gegen dep
Ministerpräsidenten erhob, indem er
daran erinnerte, daß derselbe im Jahre
1872 selbst eine derartige Demonstration
arrangirt habe. wo die Volksmenge unter
dem Rufe: ^ l^sn Kossuth!" vor die
Königsburg gezogen fei. Damals hätte
Herr von Tisza unter dem Beifalle des
ganzen Hauses zugegeben, daß „der Volks'
wille sich durch derartige Versammlungen
kundgeben dürfe". Heute aber meine
Herr Ministerpräsident von Tisza: „Er
werde künftig wohl genöthigt sein,
solche Versammlungen zu verbieten".
Im Uebrigen verlief die ganze Angelegen-
heit im Sande. Verhovay und die
übrigen Abgeordneten, welche sie in
Scene gesetzt hatlen, waren durch die
Immunitat der Abgeordneten gefeir. —
Kein Jahr war über dem eben erzählten
Vorfall ins Land gegangen, als Ver-
hovay in den Ruhmeskranz seiner par-
lamentarischen Gewaltthaten ein neues
Blatt einfügte. Den Anlaß dazu bot
der Trinkspruch, welchen der König von
Ungarn im September ^878 zu Kaschau
auf den Czaren ausbrachte. I n seinem'
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Vastag-Villani, Band 50
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Vastag-Villani
- Band
- 50
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1884
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 338
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon