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Vörösmarty 149 Vörösmarty
Sprache der Bühne gestürzt, aber sie nicht
zu einer wahrhaft poetischen erhoben. Vörös»
marty machte d^e Sprache der Bühne
wenn auch nicht zu einer dramatischen, doch
wenigstens zu einer poetischen. Von ihm
haben alle späteren dramatischen Dichter
Iamben schreiben gelernt. In seinen histo-
rischen oder doch mit einem historischen Hinter»
gründe ausgestatteten Dramen finden wir
.zuerst eine lebendige Zeitschilderung, eine
höhere Auffassung, eine poetische Diction.
Auch mit seinen Stoffen wirkte er aneifernd
-auf seine Genossen. Auch hier führte er
romantische Elemente ein, half er der natio-
nalen Nichtung zum Siege, und verkündigte
er der mechanischen Fabrikation von Theater»
-stücken gegenüber laut, daß auch der drama»
tische Schrifsteller ein Dichter sein müsse. —
-Als Theaterkri t iker lenkt er zuerst die
Aufmerksamkeit der Schriftsteller und des
-Publikums auf Shakespeare, Er ist der
erste Erklärer und eigentliche Kunstübersetzer
-Shakespeare's in der ungarischen Litera-
tur, Eine nicht minder charakteristische Seite
-seiner Theaterkritiken ist es, daß er gegen das
deutsche Drama Opposition macht, unter dessen
Herrschaft d:e ungarische Bühne seufzte (!!!)
und das französische neue Drama in Schutz
anmmt (!!!!!!), welchem die deutsche Kritik
.so sehr Opposition machte. V ö,'.'ösmarty
scheint überhaupt fortwährend bald instinct^
.mäßig, bald selbstbewußt gegen den über»
wiegenden Einfluß der deutschen Poesie und
Hritik anzukämpfen. Seine dichterischen und
patriotischen Neigungen trieben ihn dazu gleich»
^näßig an: er wünschte, daß wir uns selbst»
ständig entwickeln und nicht allein der Litera»
tur unserer deutschen Nachbarn, sondern ganz
Europas unsere Aufmerksamkeit zuwenden."
Und um deutsche Leser noch mit der Bedeu»
tung des berühmten und viel — meist jedoch
mittelmäßig — übersetzten „82622t." bekannt
zu machen, schließen wir Gyulai 's Chural»
te^istik mit dessen Worten über dies Gedicht:
„Daß der Ungar eine Zukunft habe, ver»
kündigte zuerst nicht ein poetisches Werk,
sondern eine politische Broschüre, Sz 6 ch
sny i's
„Nrs l " (Credit) im Jahre 1830. Wan ver-
gleiche bezüglich dieser Schrift des Grafen
-Stephan Szschsnyi Biographie in diesem
Herikon. Bd. XI^I, S. 238 u. f. unv S. 269).
Die Dichter blickten ebenso überrascht auf
Szsch<5nyi wie die ganze Nation. Der
Ruhm der Vergangenheit war ihnen so heil'g,
wie der der Zukunft, mit einer Hand nach der Vergangenheit, mit der anderen auf die
Zukunft deutend, begeisterten sie die Kämpfer
der Gegenwart. Dies war die Stimmung der
Nation, als Vörös marty sein „8262^
brachte, worin er dieselbe aufs kräftigste aus-
drückte und zu reinerer Begeisterung erhob.
Das „8262«^ umfaßt Alles, was den Ungar
im Negenerationskampfe begeistern kann. und
die Saiten der Hoffnung und Erinnerung,
der Zuversicht und trauriger Ahnung rührend,
mengt es in Alles das Gefühl des Selbst«
Vertrauens und der Größe. Keine Entmuthi'
gung mehr. wir können der Zukunft kühn
ins Auge schauen. Wir gehen einer großen
Krise entgegen, es muß eine bessere Zukunft
kommen, wenn aber nicht, wenn wir ver-
loren sind, so können wir nicht mehr elend
zu Grunde gehen. Gewiß ist. daß wir so
(1830) nicht weiter leben können. Vörös.
marty hebt die ungarische Lura gänzlich
heraus aus ihrer bisherigen Verzweiflung;
noch singt er nicht den Ruhm der Zukunft,
aber er fühlt, daß die Gegenwart entscheidend
sei; er girßt nicht seinen Zorn aus über die
blasirte Nation, sie ist zum Leben erwacht,
und l>r begeistert sie zu Tbaten und zu patrio»
tischer Treue. Und nicht nur an die Nation
wendet er sich, sondern auch an Europa
(welches jedoch bei dem heutigen Verhalten
der Magyaren gegen die im Lande wohnen»
den verschiedenen Nationalitäten sich für das
„Volk des Ostens" nicht eben zu erwärmen
vermag), für dessen Ideen sie kämpft; er
verlangt für sie eine würdige Stelle unter
den übrigen Völkern, begehrt die Zukunft
als Preis für ihre vergangenen Dienste (daß
sie die Türken ins Land riefen) und gegen»
wärtigen Bestrebungen (Slovaken, Croaten,
Siebenbürger und Walachen um ihre ver»
brieften Rechte zu bringen). Theilnahme für
ihre Kämpfe und eine Thräne auf ihr Grab,
wenn es ihr beschieden sein sollte, zu Grunde
zu gehen (gewiß, wenn sie auf dem betretenen
Wege furtfährt), aber sie wird nicht feige
fallen, bei ihrem Begräbnisse wird ein Land
in Blut stehen. Welches Selbstgefühl und in
wie viel Schmerz getaucht, wie viel Zuver«
ficht mitten unter schlimmen Ahnungen, und
wie sehr herrscht Entschlossenheit über beide!
Seit Ungarns Lyra nicht mehr die Ideen
des Katholicismus und Protestantismus mit
dem patriotischen Gefühle verband, war sie
vom Gefühle der europäischen Solidarität
losgelöst, Vörös mar ty verband diese
beiden Elemente wieder; indem er sich auf
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Villata-Vrbna, Band 51
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Villata-Vrbna
- Band
- 51
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1885
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 350
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon