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Wagner, Joseph 24 106 Wagner^ Joseph 24
versagt war, 3ie war ihm nicht versagt für
die Auffassung-, rr folgte einem Darstelle:
beweglichen Geistes mit Leichtigkeit, sie war
ihm aber versagt für die eigene Ausführung...
Als er nach seiner langen Krankheit wieder
auftrat, war das wichtigste Organ, die Lunge,
dirrrt angegriffen von der Anstrengung, der
Tod ergriff ihn sehr rasch. Sollen wir sagen
wie die Griechen: die Götter haben ihn ge-
liebt? Den .Nuß poetischer Jugend hatten sie
ihm aus die Stirn gedrückt in der Wiege,
und als die Jugend vorüber war, nahmen sie
ihn hinweg, uiu iim zu bewahren vor den
Hinfälligkeiten und Enttäuschungen des Alters,
sollen wir so sagen? Narum nicht! Denn
also umrahmen wir Wagner's Bild in
unserem Gedächtnisse, das Bild idealer junger
Leidenschaft, welche uns emporhebt über die
kleinlichen niederdrückenden Hindernisse der
menschliciien Kreatur". So Laube, der übri'
genö in snmr „Geschichte des BurgtlMters
von !84«—l««;7". das ist nämlich während
seiner Leitung dieses Kunstinstitutes, öfter auf
Wa gner zu sprechen kommt und ihm in der
„Nemn Freien Presse" (1879. Nr. 2092) im
Feuilleton einen längeren Nachruf gewidmet
hat, auf den wir als auf einen interessanten
dramaturgischen Essay verweisen. Wir wollen
auch, obgleich uns eine Menge Urtheile, be-
dcutender Kritiker vorliegen, es bei diesem
cinrn Laube's bewenden lassen, da er ja
doch als Fachmann der competenteste ist und
niemals Nücksickten zu nehmen pflegte, son
dern von der ^eber we>i sprach, was er in
der Sack.' eichte, Nur 5er Vollständigkeit
wegen fügen wir noch binzu, daß Wagner,
wie er in den H.'ldenrollm heimisch, ebenso
m Salonkleidung beengt sich fühlte. So
stattlich er auf der 3traße in seiner schwanen
Gewandung auch sich anonahm, so unbeholfen
fast erschien er in bürgerlicher Tracht auf oer
Bübne, und waren ihm solche sollen, wenn
sie ihm einm.il zufallen mußten, in die Seele
Zuwider. Nur eine Rolle machte eine Aus«
nahmc. Der Nochester in dem Bircl)--
P fe i f fe r'schen Stücke „D5e Waise uon
Lowood". Freilich trägt dieser wilde Lord
eigentlich den Harnisch unicr dem modernen
Rotte.
I I I . Wagner als Mensch. Die Eigenart, mit
der Wagner im Leben auftrat, machte ihn
ebenso interessant, als für Psychologen zum
Gegenstande der Beobachtung. Man sprach
vicl über ihn, von dessen Bildnissen man im Gegensalze zu der Phrase.- „zum Sprechen
getroffen" sagen müßte: zum Schweigen ge»
troffen. Und doch war es mit seiner Schweig«
samkeit nicht so schlimm bestellt. In meinem
Landhause zu Ober-St. Veit nächst Wien
verlebte Wagner mit seiner Familie einen
Sommer, und ich hatte Gelegenheit, Zu er»
fahren, daß er beredt sein konnte, wenn er an
den rechten Mann kam. Gr brachte oft ganze
Nachmittage rauchend und sprechend in meinem
Arbeitszimmer zu, und wie. gesagt, er sprach,
wenn er an den rechten Mann kam. Der
rechte Mann abrr war ihm, wie Laube be»
merkt, derjenige, welcher die theoretischen
Fragen nicht blos theoretisch angriff, sondern
welcher din Kern der Frage in die Hand
nahm, welcher vom Mittelpunkte ausging.
Dann folgte Wagner auch an alle Seicrn
der Peripherie. Wohl konnte er — uno that
es für gewohnlich — Stunden, ja Tage,
ohne einen ^aut zu svrrchen, verbringen-, die
Rauchwolken uon Cigarren, die er leiden-
schaftlich und in Unzahl,, und nicht eben e;ne
zu leichte Sorte, consumirte, waren das Ein«
zige, was seinem Munde entfuhr. Diese
Wortkargheit bewahrte er seiner Familie,
seinen besten Freunden gegenüber. (3r spricht
nichts, weil er nichts zu sagen hat, glaublen
die meisten Menschen, und man mußte ihn
sehr genau gekannt haben, um eines Besseren
belehrt zu sein. um zu wissen, wie scharf er
beobachtete, wie gründlich und eigenthümlich
er über Alles, über Menschen, Kunst, Politik
und soriales Leben dachte, Manches Mal, in
seltenen Stunden der Vertraulichkeit, wenn
man zufällig bei ilnu an den rcchten Drücker
gekommen, öffnete ec plötzl'ch den Mund und
begann zu reden, und man hörte ihm dann
erstaunt, ja erstarrt zu, als ob ein Marmor«
bild die festgrschlossencn Llppen plötzlich ge-
öffnet hätte. Dann sah man, daß er reden
künne, wenn er nur wollce. Aber gewöhn«
licheS Alltagsgewäsch haßte er, es war, als
ob er sich scheue, über die Lippen, die so be»
redt, so ergreifend den Gedanken der größten
Dichter Worte geliehen. Alltägliches und Tri»
viales gleiten zu lassen. Ein paar Züge aus
dein Leben des Künstlers mögen sein Cha«
rakterbild vervollständigen. Wagner, wie
schon bemerkt, rauchte oiel und starke Cigarrrn.
Seit Jahren bezog er seine Sorte, immer d'.e
gleiche, täglich in ein und derselben Trafik.
Die Verkäuferin wußte die Sorte und die
Anzahl Stücke, welche der „tägliche Kunde"
evhiett. dadurch wurde ihm jede mündliche
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Vrčevic-Wallner, Band 52
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Vrčevic-Wallner
- Band
- 52
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1885
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 342
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon