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10 l Marsow
romantischer Umstände nach Wien kam.
Schon am ersten Abende seines Aufent»
Haltes daselbst wurde ihm im Theater
seine Brieftasche entwendet, welche seine
ganze Barschaft und seine Zeugnisse ent»
hielt. Da er fremd war und keine Be-
kannten in der vom Feinde besetzten
Stadt hatte, war seine Verlegenheit nicht
gering, aber ein Kellner half ihm aus
der Noth, er räumte ihm ein Plätzchen in
einer Ecke des Speisesaales ein, lenkte
die Aufmerksamkeit der Gäste auf ihn,
und der Eine gab ihm etwas zu copiren,
ein Zweiter ließ sich von ihm ein Bitt-
gesuch aufsehen, für einen Dritten zeich-
nete er ein Stammbuchblatt, und so ging
es fort; die Bestellungen mehrten sich,
und Warsow brachte sich fort, bis es
ihm gelang, im Jahre 18l0 in der
Hauptbuchhaltung des Grafen Theodor
Bat thyany die Stelle eines Rech«
nungsrevisors zu erhalten, und von dieser
Zeit datirt sein eigentliches Wirken als
Lehrer der Kalligraphie, in der er Vor-
zügliches leistete. Bald war er in der
Lage, seine Stelle bei dem Grafen auf-
zugeben und sich ausschließlich der Kalli-
graphie, die er vom künstlerischen Ge-
sichtspunkte auffaßte, zu widmen. Sein
Hauptstreben ging dahin, den kalligra-
phisch auszuführenden Gegenstand mit
der Bedeutung der Worte soweit thunlich
in Einklang zu bringen. Als im Früh-
ling 1821 eine Subscriptionsaufforde-
rung um Beiträge zur Errichtung eines
Denkmals für Haydn, Mozart und
Gluck erlassen wurde, führte er das
Schriftbild zu diesem Zwecke in höchst
sinniger Weise aus, indem er den musica»
tischen Charakter in der harmonischen
Verbindung eines bildlich dargestellten
Andante, Adagio und Allegro zum Aus-
druck brachte. Es fand großen Bei»
fall. Auf einem anderen Blatte stellte er sich die Aufgabe, den Reichthum und die
Mannigfaltigkeit der menschlichen Kennt-
nisse und die Namen der Begründer oder
doch der größten Meister jeder Wis-
fenschaft zur Anschauung zu bringen.
Ein Exemplar desselben widmete er
Seiner Majestät dem Kaiser Franz. ein
zweites in englischer Sprawe war für
London bestimmt. Neben zahlreichen Ar»
beiten, wie sich ihm solche durch Bestel-
lungen darboten und deren jeder er bei
ihrer Mannigfaltigkeit eine poetische
Seite abzusehen verstand, beschäftigte er
sich eine Reihe von Jahren hindurch mit
der kalligraphischen Ausführung des
Vaterunser. So hat er nicht weniger
denn dreizehn Entwürfe durchgeführt,
und seine symbolographischen Blatter
erfreuten sich
großer Anerkennung, welche
sie auch verdienten. Ein solches symbolo«
graphisches Blatt, „Vll5 Gebet des Herrn",
überreichte er dem Wiener Magistrat,
er gab den Werth dieser Arbeit auf
fünfhundert Gulden an und widmete
das Erträgniß derselben dem Fonde einer
damals zur Ausführung beantragten
Wasserleitung für Wien. Ueberhaupt war
die Ausübung seiner Kunst sehr ein-
traglich, und er wurde bald ein ver-
mögender Mann. Warsow war auch
mnsicalisch gebildet und ein großer
Freund der Musik, denn aus der „Ge-
schichte des Concertwesens in Wien",
welche Di-, Hanslick im 4., 3. und
6. Bande der „ Oesterreich ischen Revue"
(1864) bruchstückweise — später erschien
dieselbe umgearbeitet als Ganzes — ver«
öffentlichte, erfahren wir, daß im zweiten
Decennium des laufenden Jahrhunderts
bei Warsow, wie auch sonst noch bei
mehreren musikliebenden Privaten Wiens,
musicalische Unterhaltungen stattfanden.
Ueberdies besaß Warsow auch eine
kostbare Sammlung von Gemälden.
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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Wallnöfer-Weigelsperg, Band 53
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Wallnöfer-Weigelsperg
- Band
- 53
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1886
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 332
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon