Seite - 104 - in Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich - Wiedemann-Windisch, Band 56
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MilbranN 104 Wilbrandt
gebend und einen Roman dichtend, zu
letzt in eine literarische Arbeit sich ver
tiefend, welche den Einsatz seiner ganzen
geistigen Kraft verlangte, hatte er das
Maß seiner Kräfte unterschätzt und seinem
wenngleich gesunden, doch nicht zu kräf»
tigen Körper mehr zugemuthet, als der-
selbe zu leisten im Stande war. So be»
schloß er denn zur Stärkung seiner an«
gegriffenen Gesundheit eine Erholungs-
reise anzutreten. Das Ziel derselben war
zuvorderst Italien, das ihm, wie dem
Maler, Bildhauer und Architekten ein
Römerzug, nicht minder nothwendig und
unentbehrlich erschien zum Abschlüsse
seiner Bildung. Aber ehe eine Besserung
seiner leiblichen Zustande eintrat, befiel
ihn noch in Rom ein Nervenleiden, das
ihn zur Rückkehr nach Deutschland
nöthigte, wo er noch ein ganzes Jahr
mit dieser geistigen Verstimmung zu
kämpfen hatte, bis er sie überwunden und
im Stande war, sich neuem Schaffen
hinzugeben. So nahm er 1863 seinen
bleibenden Wohnsitz in München, wo mit
der zurückkehrenden Gesundheit seine
Schaffensluft wuchs und er zunächst nur
poetischen Schöpfungen, in erster Zeit
des Studiums halber nur Reproduc»
tionen fremder classischer Werke, sich zu-
wandte. So entstanden in jener Zeit
seine Uebertragungen der Tragödien
des Sophokles und Euripides
und für die Bodenstedt'sche Aus»
gäbe des Shakespeare die Ueber»
tragung zweier Dramen des großen
Briten. Diese Arbeiten waren zu gleicher
Zeit Studien, sozusagen Vorstudien für
. den spater auftretenden dramatischen
Dichter Wilb rand t. ^Die bibliographi»
schen Titel seiner Werke folgen S. 106.)
An diese dramatischen Uebertragungen
reihten sich zunächst mehrere novellistische
Arbeiten, dann einige Lustspiele, bis er mit den beiden hiDrischen Stücken, von
denen eines dem Mittelalter, das andere
dem classischen Alterhum entnommen
war, nämlich mit dem „Grafen Hammer»
stein" und mit dem „Cajus Gracchus",
die Bretter, welche die Welt bedeuten,
betrat. So lebte er in München mehrere
Jahre in völliger Zurückgezogenheit, nur
im Verkehre mit seinem ihm geistesver»
wandten Freunde Paul Heyse, der in
seiner vornehmen Eigenart wohl ganz
dazu geschaffen war, den träumerischen
Wilbrandt anzuregen. Wohl zumeist
beschäftigt mit seinen poetischen Werken,
arbeitete er auch in Sybel's geschieht»
lichem Seminar und gewann mit seiner
Abhandlung „Ueber Gottfried Hagen's
Reimchronik" den Preis, erlangte ferner
die philosophische Doctorwürde und
führte unter Egger's Namen die Re-
daction des „Deutschen Kunstblattes".
1871 überfiedelte er nach Wien, wo er seit-
dem seinen bleibenden Wohnsitz aufschlug.
1873 verheiratete er sich mit der k. k.
Hofschauspielerin Auguste Baudius
und übernahm nach D i n g e l st e d t's
Tode am 1. December 1881 die Direc«
tion des Burgtheaters. Dieselbe legte er
im Juni 1887 nieder, indem er sich in
einem vom 23. dieses Monats datirten
Circulare von dem Künstlerpersonal und
den Abtheilungsvorstanden verabschie»
dete, nachdem alle Versuche des Inten»
danten, ihn dem Kunstinstitute zu er»
halten, gescheitert waren. Eben um zu
seinem poetischen Schaffen, das ihm denn
doch in seiner angestrengten Stellung,
wenn nicht ganz unmöglich gemacht, so
immerhin starkverkümmert worden, zurück»
zukehren, hatte er feine Stelle nieder»
gelegt. Wie Herausgeber dieses Lexikons
erfuhr, ist Adolf W ilb rand t mittler-
weile in seine Vaterstadt Rostock über»
siedelt. Ein abschließendes Urtheil über
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Wiedemann-Windisch, Band 56
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Wiedemann-Windisch
- Band
- 56
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1888
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 340
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon