Seite - 127 - in Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich - Wiedemann-Windisch, Band 56
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Mild, Franz 127 Wild, Franz
baut, zu den Unmöglichkeiten gehören.
Wagner's Zöglinge werden schwerlich
se solche Jubiläen feiern, wie Wi ld in
seinem 67. Jahre. Aber Wi ld sang ja
nur stets, er schrie nie, und deßhalb schien
die Natur ihn bis in sein spätestes Alter
mit dem fast ungeschmälerten Besitz seiner
herrlichen Stimme belohnen zu wollen.
Wenige Wochen vor seinem Tode begeg-
nete er, nachdem er in der Minoriten-
kirche gesungen und allgemeine Bewun»
derung erregt hatte, einem Freunde.
„Ja", sagte er, mit seinem sonoren
Organe, aber sichtbar gerührt, „Alles
verläßt mich, meine besten Freunde ster-
ben, einer nach dem andern, ich stehe
ganz allein, bin ein alter Mann, mit dem
es wohl auch bald aus sein wird — nur
meine Stimme verläßt mich nicht!" Da»
mals sprach Wi ld noch von einer Reise
in die Rheingegenden, wo er einige seiner
letzten Freunde besuchen wollte, um in
der Erinnerung an seine schönste Epoche
noch einmal aufzuleben; auch seine Me^
moiren wollte er in Leipzig herausgeben
— allein er trat wohl eine Reise an,
nämlich seine letzte Reise, und seine
„Memoiren" werden kaum erscheinen,
wenn nicht die in Czartoryski's „Re-
censionen" enthaltene Autobiographie
des Künstlers damit gemeint ist. Wi ld
war klein, fast so klein wie — Napo»
leon der Große, aber seine ganze Per»
sönlichkeit hatte etwas Energisches, Kräf-
tiges, und wenn er sang, wuchs seine Ge»
stalt fast vor unsern Augen. Sein Haar
war in der Jugend rabenschwarz und in
natürlichen Locken, fein Auge feurig und
belebt, zwei buschige Brauen und die
scharf geschnittenen Züge gaben seinem
edlen Antlitze den Ausdruck stolzer Mann-
lichkeit. Ein Portrat aus seiner Blüte>
zeit, von Letronne's Meisterhand ge-
zeichnet und von charakteristischer
Aehn- lichkeit, ist ein höchst interessantes Bild.
Wild's Stimme suchte ihres Gleichen.
Gin unbeschreiblicher Schmelz und Wohl-
klang vereinte sich mit einer Kraft und
Fülle, die seinem Tone jenen markigen
Timbre verliehen, daß er mit unwider-
stehlicher Macht zum Herzen drang und
das Ohr, das ihn einmal gehört, ihn nie
wieder vergaß. Sein Vortrag, seine
Schule, seine Declamation, Geberde und
Action war von höchster Vollendung,
seine Begeisterung riß ihn und den Zu«
Hörer mit sich fort und überschritt doch
nie die Grenze des Schönen. Die Rollen,
in welchen er unvergeßlich ist, dürften
vor allen Othel lo, dann Licinius,
Eleazar, Sever, Don Juan, Flo-
restan in „Fidelio", Orest, Ioconde
und Cleomenes in „Die Belagerung
von Korynth" sein. Oft siegte er bei
einer Stelle, die vor ihm ein Dutzend
Sänger ganz unbeachtet ließen und
auch danach sangen. Oft machte er aus
unbedeutenden Rollen Glanzrollen —
oft hob er allein eine Oper — rettete
ganze Acte bloß durch eine ganze Arie!
Wir erwähnen nur das von ihm so unbe>
schreiblich reizend vorgetragene zweite
Näthsel in Hoven's „Turandot", seinen
Tybald in Bell ini 's „Montecchi",
ein Part, der vorher von zweiten Tenors
erfolglos gesungen wurde, und worin er
mit einer einzigen kleinen Stelle so bei>
spiellosen Erfolg erzielte — die Bar-
carole in „Die Stumme von Portici"
— seinen Zampa, seinen Adriano
in „Die Kreuzfahrer" und selbst seine
letzte Rolle A b a y a l d o s ! W i l d
besaß das seltene Geheimniß: immer
bei Stimme zu sein! Und wie war
er dazu gekommen? Er nahm nie Theil
an den Gelagen und Bacchanalien seiner
Collegen. Mit Zechbrüdern verkehrte er
nicht, und das Wirthshausleben widerte
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Wiedemann-Windisch, Band 56
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Wiedemann-Windisch
- Band
- 56
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1888
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 340
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon