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Millcmer «86 Miüemer
Tage Goethe seinen letzten Brie an
Marianne richtet' einen Monat später,
am 22. März 4832, schloß der Dichter-
Heros für immer seine Augen. Die Idylle
dieser letzten 47 Lebensjahre Goethe's,
welche Marianne demselben in reizen«
der Weise verschönte, und in denen
Goethe's westöstlicher Divan und dessen
herrlichste Partie „Suleika" entstanden
ist, sowie den nicht geringen Antheil, den
Marianne an dieser Dichtung hat, be>
schreibt Creize nach in seiner unten in
den Quellen bezeichneten Monographie.
So nahe Mariannen der Tod des
großen Dichters ging, so gab sie doch ihre
Erregung wenig in Worten und noch
weniger in Klagen kund; auch trat ihr
der Ernst des LebenS mit ihres Gatten
vorrückenden Jahren entgegen. Derselbe
zählte bereits 73 Jahre, und wie Ro>
sine Thomas, welche mit der Stief»
mutier stets in schwesterlichem Verhältniß
verkehrte, im Februar 1833 an Sulpiz
Boiseree schreibt: „hat Marianne
gegenüber dem leidenden Gatten ein
schweres Leben, benimmt sich aber vor»
trefflich, wir Kinder können es ihr nie
genug danken". Am 49. October 4838
starb der Banquier Willemer im hohen
Alter von 79 Jahren; Marianne aber
wurde wenige Wochen danach von einem
neuen harten Schlage getroffen, als Io»
hann Gerhard Christian Thomas, der
zweite Gatte ihrer alteren Stieftochter
Rosine (Rosette), der ihr stets
rathend zur Seite gestanden, schon am
4. November desselben Jahres nach
kurzer Krankheit verschied. Thomas
war Bürgermeister von Frankfurt ge-
wesen. Im Frühjahr 4839 wurde das
Pachtverhaltniß in Bezug auf die Gerber«
mühle gelöst, und Marianne verließ
diese durch länger als drei Decennien
von dem Schimmer einer goldenen Zeit verklärte Stätte, um zunächst in das
Familienhaus „zum rothen Männchen"
zu ziehen, aus welchem sie
noch im Herbste
in eine kleine, aber bequeme Wohnung in
der alten Mainzgaffe Nr. 43 übersiedelte,
in der sie noch zwanzig Jahre, bis zu
ihrem im Alter von 76 Jahren erfolgten
Tode, lebte. Unter den Cimelien dieser
Wohnung befanden sich die Briefe im
Glaskasten, Zeichnungen befreundeter
Künstler, darunter humoristische Blätter
von Meister Steinte, mit Darstellun-
gen von Scenen aus ihrer nächsten Um»
gebung. (Wohin diese gerathen sind, war
nicht zu erfahren.) Dort waltete Su»
leika»Marianne, deren gesellige Be»
ziehungen sich in ihren letzten Lebens»
jähren wieder um Einiges erweitert
hatten. Bildende Kunst und Musik, vor
Allem Gesang, traten belebend ein; Frau
Willemer unterstützte begabte Schule»
rinen in deren Ausbildung. Unter den
Besuchern ihres kleinen, aber höchst erle»
senen Kreises finden wir auch Moriz
von Schwind, Felix Mendelssohn
mit seiner Gattin Cäcilie, Johannes
Iannsen, Erich Kellner, Hermann
Grimm, welche drei Letztgenannten sie,
obgleich sie fleißig las, mit der Literatur
im Laufenden erhielten und sie auf be>
sonders wichtige Erscheinungen in der«
selben aufmerksam machten. Goethe
aber, Alles, was ihn betraf, und die
Ehren, welche die Welt dem Unsterb>
lichen erwies, nahmen vor Allem ihren
lebendigen Antheil in Anspruch. Innigen
Verkehr unterhielt sie mit der Familie
Schlosser und war ein häufiger Gast
bei derselben auf Stift Neuburg, welches
sie noch kurz vor ihrem Tode im Herbste
4860 besuchte, in den Erinnerungen an
die Zeit schwelgend, als sie mit Goethe
daselbst in den Anlagen lustwandelte.
Nun nahte auch ihre Stunde, am 6. De«
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Wiedemann-Windisch, Band 56
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Wiedemann-Windisch
- Band
- 56
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1888
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 340
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon