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Wolf) Ferdinand Joseph 273 Wolf, Ferdinand Joseph
bieten, in denen er in der Literatur des
Continents als bahnbrechend erscheint.
Außer diesen Arbeiten über einzelne
romanische Literaturen ist noch ein Werk
besonders hervorzuheben, welches sich
auf sämmtliche Literaturen des Mittel-
alters in gleichem Maße bezieht, und
das von Wolf's Arbeiten am meisten
gekannt ist, nämlich: „Ueber die Lais,
Sequenzen und Leiche; ein Beitrag zur
Geschichte der rhythmischen Formen und
Singweisen der Volkslieder und der
volksmäßigen Kirchen- und Kunstlieder
im Mittelalter", welches Werk die Fach»
kritik für ein Muster derartiger Unter-
suchungen erklärt, und dessen Resultate
zum großen Theile noch heute als fest-
stehend sich erweisen und Jedem eine
reiche Fundgrube bieten, der mit dem
Studium des Mittelalters sich beschäf-
tigt. Diese ausgezeichnete wissenschaft-
liche Thätigkeit des Gelehrten fand auch
von allen Seiten ehrende Anerkennung.
Nachdem ihn Spanien wiederholt, dann
Portugal, Frankreich, Brasilien, Däne-
mark und Bayern, dieses mit dem Ma«
rinüliansorden für Kunst und Wissen»
schaft, ausgezeichnet hatten, verlieh ihm
unser Monarch das Ritterkreuz des
Franz Joseph »Ordens. Die Wissenschaft
aber betheiligte sich an der Anerkennung
des Gelehrten, indem ihn die Akademien
von Berlin, Göttingen und Mimchen,
d'ie^QaäeiQiü ä<28 inscriptloiiL et. beUc«
lettres, die Akademie der Geschichte zu
Madrid und viele andere unter ihre Mit»
glieder aufnahmen, und österreichischer-
seits war er schon am 44. Mai 4847
zum wirklichen Mitgliede, am 29. Juli
4847 zum zweiten Secretär und zum
Secretär der philosophisch-historischen
Classe der kaiserlichen Akademie der
Wissenschaften ernannt worden. Ferdi
nand Wol f starb 70 Jahre alt. Seme Gattin Iofepha folgte ihm sä)on in
wenigen Monaten (September 4866) im
Tode. Er hinterließ aus seiner Ehe einen
)hn, Adolf, der in der Richtung,
welche der Vater sozusagen bahnbrechend
eröffnet hatte, fortarbeitete svergl. die
besondere Biographie S. 260^, und zwei
Töchter, Rosa und Hedwig. Erstere
eine schr begabte Dilettantin in der
Landschaftsmalerei, Letztere mit literari-
schen Arbeiten beschäftigt, welche sie
unter dem Pseudonym Luise Thal seit
Jahren herausgibt s^iehe ihre besondere
Lebensskizze unter Wo l f Hedwig
S. 290^. Als Mensch genoß Ferdi -
nand Wo l f allgemeine Achtung und
in Gelehrtenkreisen seines Faches großes
Ansehen wegen Gründlichkeit und Ge-
diegenheit seiner Forschungen. Als Vater
war er der eigentliche Lehrer seiner
Kinder, und von ihm ging auf seinen
Sohn Adolf und die Tochter Hedwig
die Vorliebe für romanische Literatur
über. Merkwürdig steht er in Betreff
seiner religiösen Anschauungen da, hin-
sichtlich deren man ihn für den eifrigsten
Katholiken zu halten Ursache hätte, und
doch war er nichts weniger als ein
solcher. In seinen religiösen Ansichten
ganz Pantheist, erkannte er nur den
Gott der Philosophie, war aber dabei so
ultraconservativ und ein so entschiedener
Feind politischer und religiöser Ruhe-
störungen, daß er, den Katholicismus als
das
sicherste
Mittel gegen die genannten
Uebel betrachtend, ihm bei jeder Gelegen-
heit Lobreden hielt. Interessant ist ein
Urtheil Halm's über ihn, welches dieser
gelegentlich einer Fahrt nach Hütteldorf,
wo Rettichs wohnten, that. „Der alte
Wolf", bemerkte Halm, „ist doch ein
sonderbarer Kauz; er selbst glaubt eigent-
lich an gar nichts, möchte aber am
liebsten alle Welt katholisch machen kön-
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Windisch-Wolf, Band 57
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Windisch-Wolf
- Band
- 57
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1889
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 334
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon