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Monfiedler 106 Wonsiedler
bahn ganz aufzugeben, um zu einem Ge-
schäfte überzugehen,, für welches der
Jüngling keine Neigung zeigte, erforderte
doch Ueberlegung. Aber die Schwierig-
Heit, mit welcher die auf eine mäßige
Pension gesetzte Mutter den Haushalt
für vier Kinder bestreiteu sollte und dann
das Verlangen, fremde Länder, fremde
Menschen zu sehen, überwogen, und
Wonsiedler reiste an seinen neuen
stimmungsort wohlgemuth ab. Daselbst
angelangt, empfand er, Nachdem er seinen
neuen Berufszweig kennen gelernt, daß
er einen Mißgriff gethan, denn zwischen
einem Zögling der Humanitätsclafsen
und einem Lehrling in einem Waaren-
hause war ein fühlbarer Unterschied, und
in der ersten Zeit kostete es ihm Mühe,
diese Wandlung zu überwinden, bis er
in sich selbst eine poetische Quelle zur
Würze der prosaischen Lehrzeit entdeckte.
Schon als kleiner Knabe hatte er eine
vorherrschende Neigung zum Zeichnen,
welche in den Studentenjahren wuchs,
und nun benutzte er die freien Stunden,
um dieses sein Talent ferner zu bilden.
Er zeichnete nach der Natur, begann mit
Wasserfarben zu malen, Alles ohne einen
Lehrmeister. Nachdem er Commis ge>
worden, verließ er das Geschäft und
reiste, ohne sich vorher um eine feste
Stelle beworben zu haben, nach Wien,
wo er
sich
vor Allem zum Künstler heran-
zubilden dachte. Aber damit ging es
doch nicht so leicht, als er es sich vor»
stellte, der Anblick der Kunstleiftungen in
der Residenz machte ihm den Abstand
gegenüber den eigenen Versuchen klar,
und er sah sich genöthigt, wieder als
Commis in ein Geschäft zu treten; um
aber dcch mit der Kunst Fühlung zu be-
halten, suchte er zunächst einen Platz in
einer Kunsthandlung, den er endlich auch
beiI. Schreyvogel, dem späteren Dra- maturgen, fand, der damals Inhaber eines
Induftriecomptoirs in Wien war und den
jungen W onsiedler^ in welchem er die
Befähigung ^für seinen Zweig sofort er«
kannte, für sein in Pesth zu errichtendes
Induftriecomptoir in Dienste nahm. In
dieser neuen Anstellung führte Won»
si edler die Bücher und die Correspon«
denz, und die Mußestunden widmete er
seiner künstlerischen Lieblingsbeschäfti-
gung, dem Zeichnen und Malen, wozu
sich ihm in dem an Kupferstichen und
Gemälden reichen Geschäfte hinlängliche
Gelegenheit darbot. Schon in einem
Jahre konnte er den Commisposten mit
einer Zeichenlehrerstelle in Pesth ver»
tauschen, die ihn fo sehr in Anspruch
nahm, daß er Nachts die Vorlagen für
seine zahlreichen Schüler ausarbeiten
mußte. Nun, wenn er sich auch einerseits
am Ziele seiner Wünsche sah, so wuchs
doch mit seiner fortschreitenden Bildung
auch der Wunsch nach einer weniger
mechanischen Beschäftigung. Als er eines
Tages das Bildniß eines Freundes spre°
chend ähnlich vollendet hatte, erwachte in
ihm der Entschluß, es als Porträtmaler
zu versuchen, und er gab die monotone
Beschäftigung als Zeichenlehrer auf und
stand, um Porträtmaler zu werden, zu»
nächst erwerblos da. Aber in kurzer Zeit
waren die mannigfachen Schwierigkeiten
überwunden; er malte Bildnisse, welche
sehr ähnlich waren, er wurde als Porträt»
maler sehr gesucht und stand als solcher
bald auf eigenen FüHn. Mit diesewVer«
änderungen in seinen materiellen Ver«
hältnifsen gingen aber auch Wandlungen ,
mit dem inneren Menschen vor. Längst
schon hatten den mehr zur Betrachtung
als zum Genusse angelegten Won«
siedler verschiedene Fragen über mensch'
liche Bestimmung, die Fortdauer im Jen»
seits u. d. in. beschäftigt, worin er durck
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
Wolf-Wurmbrand, Band 58
- Titel
- Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
- Untertitel
- Wolf-Wurmbrand
- Band
- 58
- Autor
- Constant von Wurzbach
- Verlag
- Verlag der Universitäts-Buchdruckerei von L. C. Zamarski
- Ort
- Wien
- Datum
- 1889
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 13.41 x 21.45 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Biographien, Lebensskizzen
- Kategorien
- Lexika Wurzbach-Lexikon