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Winkler, Josef#

* 3. 3. 1953, Kamering (Kärnten)


Romanautor


Winkler Josef
Winkler Josef:Staatspreis-Verleihung
© Robert Strasser

Josef Winkler wurde am 3. März 1953 in Kamering bei Paternion in Kärnten geboren und wuchs auf dem Bauernhof seiner Eltern auf. Nach der Volksschule besuchte er die dreijährige Handelsschule in Villach.

Zunächst arbeitete er im Büro der Oberkärntner Molkerei, dann absolvierte er die Abend-Handelsakademie in Klagenfurt neben seiner Tätigkeit beim Klagenfurter Eduard Kaiser Verlag.

Von 1973 bis 1982 war Winkler in der Verwaltung der neuen Hochschule für Bildungswissenschaften in Klagenfurt tätig, in dieser Zeit begann er in einem "Literarischen Arbeitskreis" in Zusammenarbeit mit Alois Brandstetter Lesungen und Literaturwettbewerbe zu organisieren und gab die Literaturzeitschrift "Schreibarbeiten" heraus. Seit 1982 lebt Josef Winkler als freier Schriftsteller.

Schon in seinem erstem Werk, der Romantrilogie "Das wilde Kärnten" ("Menschenkind", 1979; "Der Ackermann aus Kärnten", 1980; "Muttersprache", 1982) setzte sich Winkler in ekstatischer Sprache mit der Vereinnahmung der kindlichen Phantasie durch die katholische Glaubenswelt auseinander.

Die intensive und verstörende Auseinandersetzung mit seiner Kindheit in Kärnten, erzählt von seinem Vater, diesem autoritären, dominanten, geliebten und gehassten ‚Ackermann‘, seiner irgendwann in Depression erstarrenden Mutter und einer zutiefst menschen- und lebensfeindlichen Dorfgesellschaft. In seinen Texten spielen die auch die Themen Tod und Homosexualität eine große Rolle – er beschreibt, ausgehend von autobiografischen Erfahrungen und beeinflusst von Büchern von Bücher von Hubert Fichte, Hans Henny Jahnn, Pier Paolo Pasolini, Georg Büchner, Paul Celan - die Schwierigkeiten homosexueller Lebensformen in einer patriarchal und katholisch geprägten Welt.

Josef Winkler ist Mitglied der Grazer Autorenversammlung und der Interessengemeinschaft österreichischer Autorinnen und Autoren und lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Klagenfurt.

Auszeichnungen, Preise (Auswahl)#

  • Verleger-Preis des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs, 1979
  • Nachwuchsstipendium für Literatur des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst, 1979
  • Förderungspreis des Landes Kärnten für Literatur, 1980
  • Anton-Wildgans-Preis der Österreichischen Industrie für Literatur, 1980
  • Aufenthaltsstipendium des Literarischen Colloquiums und des Senats Berlin für junge deutschsprachige Autorinnen und Autoren, 1980
  • Staatsstipendium des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst für Literatur, 1983
  • Stipendium des Berliner Künstlerprogramms des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, 1984
  • Förderungspreis des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst für Literatur, 1987
  • Würdigungspreis des Kulturpreises für Literatur des Clubs Carinthia Wien, 1989
  • Förderungspreis für Literatur des Theodor-KörnerStiftungsfonds zur Förderung von Wissenschaft und Kunst, 1990
  • Robert-Musil-Stipendium des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst, 1990-1993
  • Literaturpreis "Kranich mit dem Stein" des Deutschen Literaturfonds Darmstadt, 1990
  • "Literatur der Arbeit"-Preis der Kammer für Arbeiter und Angestellte Kärnten, 1990
  • Würdigungspreis des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst, 1992
  • Theodor-Fontane-Förderungspreis für Literatur des Kunstpreises Berlin der Akademie der Künste, 1994
  • Stadtschreiber von Bergen-Enkheim / Frankfurt am Main, 1994
  • Bettina-von-Arnim-Preis für Kurzgeschichten der Zeitschrift "Brigitte" Hamburg, 1995
  • Berliner Literaturpreis der Stiftung Preußische Seehandlung Berlin, 1996
  • Literaturstipendium des Landes Kärnten, 1996
  • Manuskripte-Preis des Forum Stadtpark, 1997
  • Projektstipendien für Literatur, 1998
  • Otto-Stoessl-Preis, 2000
  • Alfred-Döblin-Preis, 2001
  • George-Saiko-Reisestipendium, 2004
  • Preis der spanischen Zeitschrift Lateral, 2005
  • Franz Nabl-Preis der Stadt Graz, 2005
  • Georg-Büchner-Preis, 2008
  • Großer österreichischer Staatspreis, 2008
  • Ehrentafel an seinem ehemaligen Wohnhaus (Wien, Wattmanngasse 4), 2013

Werke (Auswahl)#

  • Menschenkind. Roman. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1979
  • Der Ackermann aus Kärnten. Roman, 1980
  • Muttersprache. Roman, 1982
  • Das wilde Kärnten. Trilogie. Drei Bände, 1984
  • Die Verschleppung. Njetotschka Wassiljewna Iljaschenko erzählt ihre russische Kindheit. Mit Fotografien. Nachw.: Josef Winkler, 1984
  • Der Leibeigene. Roman, 1987
  • Friedhof der bitteren Orangen. Roman, 1990
  • Das Zöglingsheft des Jean Genet. Roman, 1992
  • Domra. Am Ufer des Ganges. Roman, 1996
  • Wenn es soweit ist. Erzählung, 1998
  • Natura morta. Eine römische Novelle, 2001
  • Leichnam, seine Familie belauernd, 2003
  • Der Ackermann aus Kärnten. Roman. Werkausgabe Landvermessung. 17. Hrsg.: Nenning, Günther; Mithrsg.: Dor, Milo; Kerschbaumer, Marie-Thérèse; Mitgutsch, Anna; Schindel, Robert; Schutting, Julian. St. Pölten, Salzburg: Residenz im Niederösterreichischen Pressehaus, 2005
  • Indien. Kalender. Fotos: Christina Schwichtenberg, 2006
  • Indien. Varanasi, Harishchandra... Reisejournal. Fotos: Christina Schwichtenberg, 2006
  • Roppongi. Requiem für einen Vater, 2007
  • Ich reiß mir eine Wimper aus und stech dich damit tot, 2008
  • Der Katzensilberkranz in der Henselstraße. Klagenfurter Rede zur Literatur, 2009
  • Die Wetterhähne des Glücks und Die Totenkulterer von Kärnten. Zwei Litaneien, 2011
  • Die Realität so sagen, als ob sie trotzdem nicht da wär oder Die Wutausbrüche der Engel, 2011
  • Kalkutta. Tagebuch I, 2012
  • Kalkutta II, 2012
  • Wenn wir den Himmel sehen wollen, müssen wir donnern helfen. Die Salzburger Rede. Gerhard Maurer: Saualm reflux, 2013
  • Wortschatz der Nacht, 2013
  • Mutter und der Bleistift. Ein Requiem für die Mutter, 2013

Literatur#

  • D. Linck, Halbweib und Maskenbildung, 1993
  • G. A. Höfler (Hg.), J. Winkler, 1998
  • R. Jobstmann, J. Winkler zwischen den [literarischen] Welten, Dissertation, Wien 1999


Leseprobe#

aus Josef Winkler - "Roppongi. Requiem für einen Vater."

Und wenige Tage nach dem Begräbnis, als in Kärnten Schnee fiel und die Blumenbuketts und Blumenkränze von einem Schneesturm zugedeckt wurden, die Blätter der Rosen und Nelken zusammenkleben, die Blumenkelche vom Gewicht der Flocken nach unten gedrückt wurden und man im Firn des frischen Neuschnees die Fußabdrücke der Witwe und ihrer Tochter vor dem Grabhügel sehen konnte, die gemeinsam jeden Tag über den lotrechten Balken des kreuzförmig gebauten Dorfes in den Friedhof hinuntergingen, eine Kerze anzündeten und beteten für den frisch Verstorbenen, während wir, Tausende Kilometer von Kärnten entfernt, auf einem anderen Kontinent, um fünf Uhr morgens Roppongi verlassen hatten, mit der Ubahn in ein anderes Stadtviertel gefahren waren und in einer riesigen Fischhalle Hunderte großer Thunfische sahen, die mit elektrischen Sägen zerschnitten und filetiert wurden, und abends, als es schon finster war, in Tokio in einer Bar des Park Hyatt Tokyo, in der Nishi-Shinjuku saßen, in der auch Szenen des Films "Lost in Translation" von Sofia Coppola mit Scarlett Johansson und Bill Murray gedreht worden waren, den wir ein paar Monate vor unserer Abreise nach Japan im Klagenfurter Wulfeniakino angeschaut hatten, auch die zweijährige Siri und der neunjährige Kasimir waren dabei. An meinem italienischen Pellegrino-Mineralwasser trinkend, das mir die Lady Ishikawa mit Knicks und hübschem Lächeln serviert hatte, abwechselnd auf den Bildschirm eines über der Bar hängenden Fernsehapparates, in dem ständig der Film "Lost in Translation" lief, auf die unzähligen großen roten Lichter und auf die blauen Glühwürmchenstraßen des nächtlichen Tokio schauend, fiel mir ein, dass damals, als ich nach dem Erscheinen meines ersten Buches nach längerer schamvoller Abwesenheit wieder in meinem Elternhaus aufgetaucht war, der Vater zahnlos - seine Zahnprothese war in Reparatur -, schmallippig, mit eingefallenem Mund, eine kotbehangende Gabel haltend, auf dem Misthaufen stand, die Misthügel zerstreute, die abgeschlagenen Hühnerköpfe mit den geschlossenen Augenlidern und leicht geöffneten Schnäbeln und die gelben, zusammengekrallten Hühnerbeine im Mist begrub und sagte, nachdem ihn ein Film über seinen Sohn im Fernsehen überrascht und er in diesem Bericht das erste Mal von meinen gegen ihn gerichteten Haß- und Verzweiflungsgefühlen erfahren hatte: "Du kannst über mich schreiben, was du willst, wenn es nur dir hilft, aber laß die beiden erhängten Buben im Dorf in Ruh! Laß die Toten in Frieden!" (S. 100f)

© 2007 Suhrkamp Verlag, Frankfurt / Main.
Literaturhaus

Michael Thurn über das neue Buch von Winkler: "Wortschatz der Nacht"#

An Josef Winkler scheiden sich die Geister, mitunter wohl auch des Literaten eigener Geist. Der Kärntner Autor feierte am 3. März 2013 seinen 60. Geburtstag und kann sich einen Blick zurück auf sich selbst erlauben. Seiner Publikationen wurden unter anderem mit dem Georg-Büchner-Preis, dem Großen Österreichischen Staatspreis und dem Sonderpreis des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbes ausgezeichnet. Pünktlich zum Geburtstag erscheint bei Suhrkamp nun ein Frühwerk von Winkler, das unter dem Titel »Das lächelnde Gesicht der Totenmaske der Else Lasker-Schüler« bereits 1979 in der Grazer Literaturzeitschrift »manuskripte« erschien. Eine überarbeitete Version dieses Textes wurde nun erstmals als Buch verlegt. Der »Wortschatz der Nacht« ist ein literarischer Erguss, der nach Angaben des Verlages ein Produkt weniger Nächte ist. Und es sind blutige Nächte, die einem niedergeschriebenen Albtraum gleichen. Wütend wirre Gedanken eines verspäteten Expressionisten, der sich an der eigenen Religiosität und Sexualität abarbeitet. Jeder Gedanke scheint dem nächsten im Weg zu stehen und doch fügen sich gerade dadurch beeindruckend verstörende Bilder: »Die Mutter schlachtet ein Huhn, das Blut ergießt sich nach der Erektion des steifen Messers, der Kopf fällt, und der Kamm des Hahns kämmt die Haare meiner Kindheit.« Dass Winkler dabei nicht nur aus einer Ich-Perspektive schreibt, sondern wohl tatsächlich sich meint, rechtfertigt es, gerade diesen Text zum »Geburtstagstext« zu machen. Den Leser aber hält der wortgewaltige Autor mit Hang zu destruktiven und sexuellen Metaphern auf Distanz. Vielleicht ist das gut so. Für uns.

Josef Winkler, Wortschatz der Nacht, Suhrkamp, 109 Seiten, ab 18. Februar 2013 erhältlich.
Empfehlung: Eher für Leute ohne Konfession

Weiterführendes#

Quellen#


Redaktion: I. Schinnerl