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August 1968: "Prager Frühling" ohne Sommer - Österreich und der Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die ehemalige Tschechoslowakei #


von

Dr. Karl Anton Glaubauf


Die strategische Überraschung: Der "Panzerkommunismus" als Ende des "Prager Frühlings"#

Ein angenehm sonniger August lag 1968 über Österreich. Wie 1914 als nach der "Juli-Krise" im schicksalsschweren August der Weltkrieg ausbrach. Die politische und militärische Führung der Republik genoss die letzten sommerlichen Tage: Bundeskanzler Dr. Josef Klaus urlaubte am Riederberg, Riederberg , Verteidigungsminister Dr. Georg Prader war ebenfalls nicht in Wien, Generaltruppeninspektor Erwin Fussenegger machte Ferien im damaligen Jugoslawien.

Österreich befand sich in sommerlicher Ruhe wie übrigens auch weite Teile Westeuropas . Nach der Niederwerfung des Ungarnaufstandes 1956 konnte daher der "Panzerkommunismus" auch diesmal sorgfältig geplant ungehindert zuschlagen, da den westlichen Geheimdiensten die massiven Vorbereitungsmaßnahmen entgangen waren oder als Manövervorbereitungen falsch interpretiert wurden. Auch Österreich, durch die geographische Nähe und eine lange gemeinsame Grenze mit der ehemaligen Tschechoslowakei besonders betroffen, wurde von den Ereignissen völlig überrascht.

"Marschmusik für Glockenspiel"#

Die Idylle fand damit ein jähes Ende: In der Nacht zum 21. August begann nämlich der Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen allerdings ohne die DDR-Armee in die ehemalige Tschechoslowakei. Mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks - Ungarn und die Tschechoslowakei hatten im Februar 1968 um Überfluggenehmigung zum Zwecke der Grenzvermessung angesucht- wurde dabei die österreichische Grenze nördlich der Donau in nur vierzehn Stunden hermetisch abgeriegelt.

"Marschmusik für Glockenspiel", der für diesen Fall vorgesehene Alarmierungscode erreichte die urlaubsgeschwächten wenigen grenznahen Verbände des österreichischen Bundesheeres und riss sie aus der sommerlichen Beschaulichkeit. Der Rückruf der Urlauber begann, während die Warschauer Pakt-Panzer schon zügig die Grenze entlang rollten. Der für diesen Fall vorgesehene Einsatz-Plan des Bundesheeres für die Sicherung der Nordgrenze, Deckname "Urgestein", wurde ausgelöst, bedurfte aber der Zustimmung der Regierung, deren Spitzen sich jedoch noch nicht in Wien befanden.

Daher konnte erst für den Nachmittag des 21. August eine Sitzung des Ministerrates und des Landesverteidigungsrates einberufen werden, bei der die weitere Vorgangsweise beschlossen werden sollte.

Da war dem Warschauer-Pakt aber schon längst die operative Überraschung voll gelungen. Ungehindert hätten seine Panzerverbände aus dem Raum Bratislava Bratislava in der Slowakei Slowakei nämlich auch gleich direkt durch das Wein- Weinviertel und Waldviertel rollen können, wenn sie sich den Umweg entlang der österreichischen Nordgrenze sparen wollten, um den Süden der ehemaligen Tschechoslowakei hermetisch abzuriegeln.

"Urgestein"#

Der "Urgestein"- Plan hatte vorgesehen, die Ost- und Nordgrenze Österreichs durch den Grenzschutz und drei Brigaden im Falle eines Warschauer-Pakt-Einmarsches in die CSSR zu sichern, da nicht beurteilt werden konnte, wie sich die tschechoslowakische Armee in einem derartigen Fall verhalten würde und große Flüchtlingsströme wie 1956 beim Ungarnaufstand nicht ausgeschlossen werden konnten. Der Plan war durchaus richtig, allerdings war es nun aber dafür viel zu spät.

Jetzt war guter Rat für die Regierung Klaus daher mehr als teuer. Wie sollte man im Nachhinein angemessen reagieren ? Was nahelag, war der politische Protest gegen die Unterdrückung der Liberalisierungs- und Demokratisierungsmassnahmen, die untrennbar mit dem Namen Alexander Dubcek verbunden sind.

Aber auch hier war größte Vorsicht geboten, jede Stellungnahme hatte den Schwierigkeitsgrad einer politischen Quadratur des Kreises. Die Regierung und insbesondere Kanzler Klaus waren nicht zu beneiden.

Dem Botschafter der Sowjet-Union wurden vorerst mehrere Protestnoten wegen der zahlreichen Verletzungen des österreichischen Luftraumes durch Aufklärungsflüge des Warschauer-Pakts überreicht. Zum Einsatz der eigenen Luftraum-Überwachungsflugzeuge konnte man sich aber nicht durchringen, sodass der Warschauer-Pakt sich jederzeit ein klares Lagebild über die österreichischen Truppenbewegungen verschaffen konnte.

Der Minister- und Landesverteidigungsrat vom 21. August 1968#

Einleitend wurde ab 13h 25 die morgendliche Rundfunkerklärung des Kanzlers diskutiert, die so wie 1956 beim Ungarnaufstand von einem Einsatz des Heeres an der Grenze ausging. Da Innenminister Soronics jedoch meldete, dass die Besetzung der gesamten ehemaligen CSSR schon abgeschlossen sei, war klar, dass der entscheidende Handlungszeitpunkt (Platos "Kairos") für die Grenzsicherung längst versäumt war.

Außenminister Dr. Kurt Waldheim trat daher dezidiert dafür ein, keine Truppenbewegungen des Bundesheeres in Grenznähe und keine direkte Grenzsicherung durchzuführen, "denn das würde von Moskau als zu drastisch gesehen werden. Wir müssen immer bedenken, dass optisch gesehen kein falsches Bild entstehen möge."[1] Am Ende der Sitzung vereinbarte man gegen 19 h noch eine Sprachregelung für die Presse, wonach "derzeit von einer Krise nicht gesprochen werden könne, es handle sich vielmehr um eine "krisenhafte Situation".[2]

Durch diesen Formulierungstrick ersparte man sich das im Landesverteidigungsplan vorgesehene Szenario für den Fall einer Krise in einem Nachbarland auszulösen, das obligatorisch die Mobilisierung des Grenzschutzes vorgesehen hätte. Für die Teilnahme an den Sitzungen des Landesverteidigungsrates hatten sich die Nationalräte Dr. Bruno Kreisky und Dr. Bruno Pittermann als Mitglieder angeloben lassen, da sie diesem bisher nicht angehört hatten.

Keine Grenzsicherung#

Im Gegensatz zu den vorbereiteten militärischen Planungen wurde im anschließenden Landesverteidigungsrat in Entsprechung der Argumente Waldheims beschlossen, keine Grenzsicherung durch das Bundesheer durchzuführen, vielmehr dessen Einheiten auf eine Linie dreißig Kilometer von der Grenze entfernt zurückzunehmen und lediglich die Garnisonen nördlich der Donau zu verstärken.[3]

Die grenznahe Garnison Weitra Weitra " musste dadurch aus der Kuenringer-Kaserne nach Horn Horn rückverlegt werden, was bei der Waldviertler Bevölkerung auf wenig Verständnis stieß. Auch Generaltruppeninspektor Fussenegger war mit den getroffenen Maßnahmen nicht einverstanden, da die bisherigen Planungen nicht realisiert wurden und in den verstärkten Kasernen nördlich der Donau eine massive, potentiell nicht ungefährliche Truppenverdichtung entstand.

Aus Protest trat er daher nach der Sitzung vom 21. August seinen Dienst nicht an, sondern konsumierte noch seinen Urlaubsrest bis Samstag, den 25. August. Dadurch musste die erste Phase des verstärkten Bundesheer-Einsatzes nördlich der Donau von Brigadier Freihsler allein geleitet werden.

Die Verstärkung der nördlichen Garnisonen stieß auf beträchtliche praktische Schwierigkeiten. Da - um nur ein Beispiel zu nennen - für das Panzerbataillon aus St. Pölten St. Pölten kein Eisenbahntransport nach Horn und Allentsteig Allentsteig organisert werden konnte, mussten die Panzer im Straßenmarsch in das Waldviertel rollen.

Weil die Kremser Krems Donaubrücke aber der Belastung nicht standgehalten hätte, war der Marsch nur über Tulln Tulln möglich, wodurch das Bataillon erst mit erheblicher Verzögerung in den Einsatzräumen eintraf.

Da die tschechoslowakische Armee keinen Widerstand leistete, konnte der Flüchtlingsstrom - etwa 160.000 Tschechoslowaken kamen nach Österreich- aber durch die Zollwache und die Gendarmerie im Gegensatz zum Ungarnaufstand von 1956 allein bewältigt werden.

In einem dreißig Kilometer breiten Gebiet entlang der Ost- und Nordgrenze blieb dabei allerdings die Bevölkerung völlig ungeschützt, was sich extrem negativ auf das "Sicherheitsgefühl" der Betroffenen auswirkte und Gegenstand heftiger Kritik am österreichischen Bundesheer war, die weitreichende Folgen haben sollte.

Für das Bundesheer wurde prophylaktisch der Präsenzdienst durch Bundespräsident Franz Jonas um einen Monat bis 22. 10. 1968 verlängert. Davon waren besonders mehr als tausend Einjährig-Freiwillige betroffen, die dadurch ihr Studium nicht rechtzeitig antreten konnten.

Trotz heftiger Proteste der tschechoslowakischen Bevölkerung -der Student Jan Pallach verbrannte sich dabei öffentlich- verlief die Krise jedoch ohne militärische Zwischenfälle. Der Sicherungseinsatz des österreichischen Bundesheeres konnte daher Mitte Oktober aufgehoben werden.

Oberst Redls Erben: Der "Fall Euler"#

Durch einen tschechischen Überläufer wurde Ende 0ktober 1968 bekannt, dass der Warschauer-Pakt über ausgezeichnete und durchaus aktuelle Informationen über die von der österreichischen Regierung beschlossenen Maßnahmen verfügte und noch dazu aus der direkten Umgebung der Entscheidungsträger.

Im Gegensatz dazu hatten die österreichische Bundesregierung und das Bundesheer keine einschlägigen Informationen, da der Militär-Geheimdienst die Truppenkonzentrationen als Manövervorbereitungen interpretierte, sofern sie überhaupt erkannt wurden. Daher traten auch die Spitzen der Regierung und des Heeres inklusive des Verteidigungsministers und des Generaltruppeninspektors ihren wohlverdienten Urlaub an.

Als sehr gut informiert sollte sich in der Folge allerdings der ORF erweisen. Trotz der Besetzung der CSSR und der Abriegelung der Grenze verfügte er nämlich bemerkenswerterweise über aktuellstes Filmmaterial und wurde zur Informationsdrehscheibe für die ganze Welt.

Einer der Informanten war auch Ministerialrat Dr. Alois Euler, der Pressesprecher von Innenminister Dr. Soronics. Euler konnte in einer dramatischen persönlichen Konfrontation durch den Leiter der Staatspolizei Peterlunger überführt werden und wurde später zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.

Ein Untersuchungsausschuss kam anschließend zu dem Ergebnis, dass auch Euler kein Einzelfall war, sondern im öffentlichen Dienst durchaus noch mehr Erben des Monarchie-Spions Alfred Redl tätig waren. Der berühmte Spielfilm "Der dritte Mann" illustrierte auch noch 1968 die Lage in Wien als "Agentendrehscheibe" treffend, wobei die tschechoslowakischen und die DDR-Dienste eindeutig dominierten.

Dennoch hätte Österreich nicht so überrascht werden müssen, wenn der eigene Militärgeheimdienst und die Staatspolizei konsequenter gearbeitet und zumindest die Regierung richtig informiert hätten. Schon beim "Ungarnaufstand" 1956 war ja eine ähnliche Lage zu bewältigen, wobei sich noch dazu das Bundesheer bestenfalls in einem "embryonalen" Zustand befand.

Da die tschechoslowakische Armee vernünftigerweise gegen die erdrückende Übermacht der Warschauer-Pakt-Truppen keinen Widerstand leistete, lief die Krise aber nicht so dramatisch ab wie 1956. Etwas mehr als 160.OOO CSSR-Flüchtlinge kamen dabei nach Österreich, wurden bei ihrer Flucht aber im Gegensatz zur Ungarn-Krise, wo es schwere Zwischenfälle gab, nicht verfolgt.

Heeresreform durch Kanzler Kreisky und General Emil Spannocchi #

Der dargelegte "Sicherungseinsatz" des Bundesheeres wurde von weiten Teilen der Bevölkerung als völlig unbefriedigend empfunden, da die Öffentlichkeit die im geheimen Minister- und Landesverteidigungsrat erörterten Entscheidungsgrundlagen nicht kannte und auch 1938 und der deutsche Einmarsch erst dreißig Jahre zurück lagen, woran sich damals doch noch viele erinnern konnten.

Die Kritik konzentrierte sich daher auf das Heer selbst, dessen Existenzberechtigung insgeamt jetzt durchaus in Frage gestellt wurde. Bruno Kreisky thematisierte die Wehrpolitik in den Wahlkämpfen von 1970/71 mit dem Slogan : "Sechs Monate sind genug." Nach seinen Wahlsiegen beauftragte er Emil Spannocchi dann mit der Reorganisation des Bundesheeres und der Erstellung eines neuen Sicherheitskonzeptes.

Diese neuentwickelte "Spannocchi-Doktrin" sah vor, eine Entscheidungsschlacht mit einem Agressor unbedingt zu vermeiden und diesem zunächst in sogenannten "Raumsicherungszonen" die ungehinderte Nutzung des Territoriums streitig zu machen. Nachhaltiger Widerstand sollte in gut ausgebauten "Schlüsselzonen", wie etwa der "Erlaufstellung" geleistet werden.

Dadurch hätte Österreich im Falle eines militärischen Konfliktes auch nach dem Verlust von Teilen seines Territoriums zumindest völkerrechtlich als souveräner Staat noch länger bestehen können. Wertvolle Zeit für eine etwaige Hilfe durch Dritte wäre damit gewonnen worden.

Entspannung und Sicherheit durch EU-Beitritt: Die "Pax Europea"#

Der "Ungarnaufstand" von 1956 und die "Tschechen-Krise" der Jahres 1968 zeigen deutlich, in welch schwieriger Situation sich Österreich als neutraler Staat zwischen NATO und Warschauer Pakt jahrzehntelang bis zum Zusammenbruch des Sowjetsystems und dem EU-Beitritt befand.

Analog zur "Pax Romana", also dem römischen Reichsfrieden, scheint aber nun eine gesamteuropäische Friedensordnung, eine "Pax Europea", zu entstehen. Vor allem dadurch ist die Problematik von 1956 und 1968 heute erfreulicherweise politisch nicht mehr aktuell sondern Geschichte und somit Gegenstand der historischen und politikwissenschaftlichen Forschung.....



Anmerkungen:
[1] Ministerratsprotokoll der Sitzung vom 21. August 1968, Österreichisches Staatsarchiv. Der Autor des vorliegenden Essays war als Einjährig-Freiwilliger im Panzergrenadierbataillon 9 in Horn Zeitzeuge des Sicherungseinsatzes des österreichischen Bundesheeres im August und September 1968, weshalb der Essay nicht nur auf konsequenter Anwendung der historischen Methode beruht sondern auch auf persönlichen Wahrnehmungen.

[2] Ebda.

[3] Vertrauliches Protokoll der Sitzung des Landesverteidigungsrates vom 21. August 1968, Bundeskanzleramt.

Literatur:

  • Tozzer, Kurt, Kallinger, Günther: August 1968. Österreich am Rande des Krieges. Verlag Niederösterreichisches Pressehaus, St. Pölten 1993.
  • Ders. et alii: Das Netz der Schattenmänner. Geheimdienste in Österreich. Holzhausen-Verlag, Wien 2003. (Standardwerk)


Vor 45 Jahren begann exact um Mitternacht zum 22. August 1968 der Einmarsch der Sowjettruppen in die Tschechoslowakei...

-- Glaubauf Karl, Mittwoch, 21. August 2013, 21:38


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