Charles Joseph de Ligne
Fürst Charles Joseph de Ligne, auch Charles-Joseph de Ligne (* 23. Mai 1735 in Brüssel; † 13. Dezember 1814 in Wien) war ein Offizier und Diplomat in österreichischen Diensten und Schriftsteller. In Wien war er auch als der rosarote Prinz bekannt.[1]
Leben
Charles Joseph de Ligne entstammte dem alten südniederländischen Adelsgeschlecht Ligne aus dem Hennegau, das traditionell in Diensten des Heiligen Römischen Reiches stand. Sein Vater Claude Lamoral II., 6. Fürst von Ligne, war kaiserlicher Geheimer Rat, Feldmarschall und Staatsrat; seine Mutter Elisabeth war eine geborene zu Salm-Salm. Als Vierjähriger verlor er die Mutter und wurde vom Vater, einem Onkel sowie verschiedenen Privatlehrern erzogen. Früh kam er in Kontakt zum kaiserlichen Hof, reiste 16-jährig nach Wien und wurde von Maria Theresia zum Kammerherrn ernannt. Nach Studien der Klassischen Philologie, Geschichtswissenschaft und Militärwissenschaft trat er 1752 in das Regiment seines Vaters, das „Regiment de Ligne Infanterie“ ein. 1755 heiratete er Françoise Marie Xavière von Liechtenstein, eine Palastdame.
In den Jahren 1757 und 1758 nahm er aktiv am Siebenjährigen Krieg gegen Preußen teil und brachte es bis zum Oberst; im Bayerischen Erbfolgekrieg wurde er zum Feldmarschalleutnant befördert. Über seine Kriegserfahrungen veröffentlichte er später viel beachtete Bücher. Auch persönliche Begegnungen mit den Aufklärern Voltaire und Rousseau verarbeitete er später zu geist- und kenntnisreichen Erlebnisbüchern.
1766 wurde er nach dem Tod seines Vaters 7. Fürst des Hauses de Ligne.
Im September 1770 nahm er an einem Treffen Kaiser Josephs II. mit König Friedrich II. von Preußen teil, anlässlich dessen er Friedrich von Kaiser Joseph vorgestellt wurde. Aus diesem Treffen entwickelte sich eine lange Jahre andauernde Zuneigung und Wertschätzung der beiden, die denselben geistvollen Esprit pflegten. De Ligne notierte hinreißende Erinnerungen über die Tischgespräche. Er und sein Sohn besuchten den König 1780 in Potsdam auf der Durchreise nach Russland, wohin er erneut zwei Jahre später als enger Vertrauter und Berater Josephs II. in diplomatischer Mission an den Zarenhof in St. Petersburg entsandt wurde. Er gewann das Vertrauen Katharinas II. und begleitete sie auf Reisen. 1788 und 1789 kämpfte er für Russland und Österreich im Russisch-Türkischen Krieg.
In Friedenszeiten lebte de Ligne fast ausschließlich in Brüssel und auf dem Familiensitz Schloss Belœil im Hennegau. Die seit dem 17. Jahrhundert der Familie de Ligne gehörende Baronie Fagnolle wurde am 20. Juli 1770 von dem mit dem Fürsten befreundeten Kaiser Joseph II. zur Reichsgrafschaft Fagnolles erhoben. Der Fürst beantragte wegen dieses reichsunmittelbaren Besitztums sogleich seine Aufnahme zu Sitz und Stimme in den Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreis des Reichstags, was aufgrund der Schwerfälligkeit der politischen Entscheidungsfindung jedoch erst mit Urkunde vom 31. Oktober 1786 bewilligt wurde. Dem Fürsten wurde der Rang zwischen der zuletzt (1715) aufgenommenen Grafschaft Kerpen und Lommersum und der Reichsstadt Köln zugewiesen. Mit kaiserlichem Dekret vom 21. März 1789 wurde die Aufnahme des Fürsten in den Reichstag verfügt, die notwendige Beschlussfassung der drei Kollegien des Reichstages hierüber blieb aber wegen des Todes von Kaiser Joseph II. und der kurzen Regentschaft von Kaiser Leopold II. liegen. Die zwei Kaiserwahlen und auch der Ausbruch der Französischen Revolution verhinderten also, dass das Dekret kurzfristig umgesetzt werden konnte; in der Mitgliederliste von 1792 ist der Fürst de Ligne als Graf von Fagnolles dann aber enthalten. Im gleichen Jahr besetzte Frankreich die südlichen Niederlande.
Nachdem die Französische Revolution auch Belgien erreicht hatte und Österreich gegen die aufständischen südlichen Niederlande, zu denen Belgien damals weitgehend gehörte, eine Niederlage einstecken musste, verlor de Ligne die meisten seiner Besitztümer und ging 1794 für immer nach Wien. Er zog sich ins Privatleben zurück und entwickelte eine umfangreiche schriftstellerische Tätigkeit. Unter Napoléon Bonaparte konnte sein Werk wieder bei Gaumont in Paris erscheinen. Napoleon gab auch die von den Revolutionstruppen beschlagnahmten Güter in Belgien an die Familie zurück, worauf Fürst Charles Joseph diese seinem Sohn Prinz Ludwig in Verwaltung gab.
Die reichsunmittelbare Grafschaft Fagnolles wurde dem Haus Ligne entzogen, aufgelöst und das Gebiet dem Département Ardennes zugeschlagen. Der Fürst von Ligne wurde im Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803 jedoch mit dem ebenfalls reichsunmittelbaren Kloster Edelstetten bei Günzburg entschädigt. Hierfür erhielt er nun sogar eine Virilstimme im Reichsfürstenrat, die vorletzte, und erhielt damit den 126. Rang (vor dem Herzog von Looz). Nur zwei Jahre vor der Auflösung des Alten Reichs und seiner Institutionen verkaufte der Fürst, der für seine Lebensführung im Wiener Exil dringend Geld brauchte, jedoch die Grafschaft Edelstetten mitsamt seiner mühsam errungenen Virilstimme im Reichstag am 22. Mai 1804 an den Fürsten Esterházy von Galantha, der bis dahin nur Reichstitularfürst (ohne Reichsstandschaft) gewesen war, blieb aber als persönliches Mitglied – ohne Virilstimme – weiterhin im Reichgrafenkollegium. Seine Familie hatte damit den begehrten Status als erbliche Reichsfürsten wieder verloren, was jedoch aufgrund der zwei Jahre später erfolgten Auflösung des Alten Reiches von den geschichtlichen Ereignissen ohnehin überholt wurde.
1808 wurde er zum Feldmarschall ernannt. 1814 starb er während des Wiener Kongresses und wurde auf dem Josefsdorfer Waldfriedhof[2] auf dem Kahlenberg, einem seiner Lieblingsplätze in Wien, begraben.
Bedeutung
De Ligne, einer der letzten typischen Vertreter des so genannten Ancien Régime, galt nicht nur als ausgezeichneter Militärexperte und Diplomat, sondern vor allem auch als geistvoller und aufgeklärter Denker, Essayist, Biograf und Briefschreiber. Er korrespondierte mit den geistigen Größen seiner Zeit wie Voltaire und Rousseau, Goethe und Wieland. Mit Madame de Staël war er befreundet und brachte gemeinsam mit ihr Auszüge aus seinen Werken heraus. Er war aufgrund seiner Intelligenz, seines elegant-gewandten Auftretens und Witzes in den höchsten Kreisen seiner Zeit sehr beliebt.
Die Themen seiner literarischen Arbeiten waren äußerst breit gestreut und reichten von militärischen Abhandlungen über Biografien, zum Beispiel über Prinz Eugen, bis hin zu Essays, Aphorismen und einem Werk über Gartenkunst. In den Salons von Wien war der charmante, weltgewandte Fürst beliebt als geistreicher Plauderer und intelligenter Spötter.
De Lignes schriftstellerisches Werk, ausschließlich in Französisch geschrieben, umfasst rund vierzig Bände und blieb nicht ohne Einfluss auf die belgische Literatur. Neben Übersetzungen ins Englische besorgte Albert von Pappenheim 1815 eine Übersetzung der militärischen Schriften ins Deutsche, auch verschiedene Briefsammlungen und Auszüge aus den Erinnerungsbüchern erschienen auf Deutsch. Zuletzt besorgte 1995 Ludwig Trauzettel von der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz den Reprint eines de Ligneschen Werks zur europäischen Gartenkunst, insbesondere den Garten zu Belœil.
De Ligne war Mitglied der Brüssler Freimaurerloge L’Heureuse Rencontre. 1785 wurde die Offiziersloge Ligne Equitable des Regiments de Ligne gegründet, deren Stuhlmeister er war.[3][4]
Sein Enkel Eugène de Ligne wurde ein bedeutender belgischer Politiker, ihm wurde während der Revolution von 1830 die belgische Königskrone angetragen, die er aber ausschlug.
Zitate
Von ihm stammt das Bonmot „Le congrès danse beaucoup, mais il ne marche pas“ (deutsch: Der Kongress tanzt viel, aber er geht nicht voran), mit dem er die Schwerfälligkeit der Verhandlungen auf dem Wiener Kongress kritisierte und das in der verkürzten Form „Der Kongress tanzt“ nicht zuletzt durch die so betitelten Filme bekannt wurde.
Werke (Auswahl)
- Mélanges militaires, littéraires et sentimentaires, 34 Bde., Paris 1795–1811
- Vie du prince Eugène de Savoie, Paris 1809
- Literat und Feldmarschall. Briefe und Erinnerungen des Fürsten Charles Joseph de Ligne, Hg. Günther Elbin, Stuttgart 1979
- Der Garten zu Beloeil nebst einer kritischen Übersicht der meisten Gärten Europens. Aus dem Französischen des Herrn Fürsten de Ligne übersetzt und mit einigen Anmerkungen und einer Vorrede begleitet von W. G. Becker. Reprint der Ausgabe Dresden 1799, mit Nachbemerkungen und einem Register versehen von Ludwig Trauzettel, Wörlitz 1995
- Mon Journal de la guerre de Sept Ans. Hg. von Jeroom Vercruysse und Bruno Colson. Editions Honoré Champion, Paris 2008 (=L'Âge des Lumières 44). ISBN 978-2-7453-1711-7
- Fritz Schalk, Hg., Vorwort und Übers.: Die französischen Moralisten. Bd. 2: Galiani, Fürst von Ligne, Joubert. Sammlung Dieterich, 45. 4. neubearb. Aufl. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Wiesbaden o. J. & Leipzig 1962[5]
Literatur
nach Autoren alphabetisch geordnet
- Ernst Benedikt: Karl Josef Fürst von Ligne. Ein Genie des Lebens. Gerold, Wien 1936.
- Christian Hlavac: Prince de Ligne: Der Gartenbesessene und Kosmopolit in Wien. Über seine letzten Lebensjahre und Gärten in Wien. In: Die Gartenkunst 20 (1/2008), S. 151–164.
- Johannes Kunisch: Ligne, Karl Joseph Fürst de. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 14, Duncker & Humblot, Berlin 1985, ISBN 3-428-00195-8, S. 548 f. (Digitalisat).
- Philip Mansel: Der Prinz Europas. Prince Charles-Joseph de Ligne 1735–1814. Klett-Cotta, Stuttgart 2006, ISBN 3-608-93753-6.
- Sch.: Ligne, Karl Joseph Fürst de. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 18, Duncker & Humblot, Leipzig 1883, S. 642–644.
- Andreas Thürheim: Feldmarschall Carl Joseph Fürst de Ligne, die "letzte Blume der Wallonen". Eine Lebensskizze. Braunmüller, Wien 1877.
- Helene Walbröhl: Der Fürst von Ligne. Leben und Werk. Droz, Genf 1965 (zugleich Dissertation, Universität Köln 1965).
- Constantin von Wurzbach: De Ligne, Karl Franz Joseph Fürst. In: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich. 3. Theil. Verlag der typogr.-literar.-artist. Anstalt (L. C. Zamarski, C. Dittmarsch & Comp.), Wien 1858, S. 213–219 (Digitalisat).
Weblinks
- Literatur von und über Charles Joseph de Ligne im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über Charles Joseph de Ligne in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Prince Charles-Joseph de Ligne informative Seite zur de Ligne-Forschung mit guter Bibliografie (Einführung auf Deutsch, sonst Französisch)
- Eintrag zu Charles Joseph de Ligne im Austria-Forum (im AEIOU-Österreich-Lexikon)
- Detlef Jena: Fürst de Ligne und die Lebensart des „Ancien Régime“ in Weimar, Thüringische Landeszeitung, 26. Mai 2013
Einzelnachweise
- ↑ http://www.bezirksmuseum.at/default/index.php?id=329
- ↑ Grabdenkmal im Josefsdorfer Waldfriedhof renoviert Rathauskorrespondenz vom 30. Oktober 2003. (Abgerufen am 1. Juni 2010)
- ↑ Eugen Lennhoff, Oskar Posner, Dieter A. Binder: Internationales Freimaurer Lexikon. 5. Auflage 2006, Herbig Verlag, ISBN 978-3-7766-2478-6, S. 517
- ↑ http://www.bon-a-tirer.com/volume10/pd.html
- ↑ zu den versch. Aufl. und Übers. seit 1938 siehe Französische Moralisten, Lit. - NICHT in der späteren dtv-Ausgabe!
Personendaten | |
---|---|
NAME | Ligne, Charles Joseph de |
ALTERNATIVNAMEN | Ligne, Charles-Joseph de (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | Offizier und Diplomat in österreichischen Diensten und Schriftsteller |
GEBURTSDATUM | 23. Mai 1735 |
GEBURTSORT | Brüssel |
STERBEDATUM | 13. Dezember 1814 |
STERBEORT | Wien |
License Information of Images on page#
Image Description | Credit | Artist | License Name | File |
---|---|---|---|---|
Castle and park | Paul M.R. Maeyaert, photographer | Paul M.R. Maeyaert, photographer | Datei:51008 Beloeil Château de Belœil 03.jpg | |
Antoine Cardon (1739–1822) nach Charles Le Clercq (1753–1821): Fürst Charles-Joseph von Ligne (1735–1814). | Georges Englebert, Martine Englebert: Charles Joseph Fürst de Ligne (Ausstellungskatalog). Graphische Sammlung Albertina, Wien 1982, Titelseite. | Antoine Cardon after Charles Le Clerq | Datei:Antoine Cardon d’après Charles Le Clercq Charles-Joseph prince de Ligne 2.jpg | |
Carl Josef Fürst Ligne | https://www.muzeum-teplice.cz/en/the-room-of-prince-de-ligne/ | J. Grassi? (1755-1838) | Datei:CarlJosefFürstLigne.jpg | |
The Wikimedia Commons logo, SVG version. | Original created by Reidab ( PNG version ) SVG version was created by Grunt and cleaned up by 3247 . Re-creation with SVG geometry features by Pumbaa , using a proper partial circle and SVG geometry features. (Former versions used to be slightly warped.) | Reidab , Grunt , 3247 , Pumbaa | Datei:Commons-logo.svg |