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Sonnenfinsternis 11. August 1999 – Ein Bericht#

von Ernst Zentner

Ablauf der Sonnenfinsternis. Sie tritt nur bei Neumond auf. Der Mond wandert zwischen Sonne und Erde und deckt die helle Sonnenscheibe kurzzeitig total ab. Der Mond wirkt wie ein schwarzes Loch, umgeben von der weit in den Raum hinausreichenden Sonnenkorona. Zumeist sind am Finsternisrand noch die in den Weltraum hinausgeschleuderten Protuberanzen zu sehen.

Der Kernschatten traf um 11.31 Uhr MESZ die Erde im Nordatlantik, erreichte das Festland bei Cornwall (Südengland) um 12.11 Uhr MESZ. Dann um 12.40 Uhr MESZ bis 12.47 Uhr MESZ überquerte die Finsternis Österreich. Um 13.03 Uhr MESZ erreichte die Totalität über Rumänien ihren Höhepunkt. Gegen 13.12 Uhr MESZ überschritt der Schatten das Schwarze Meer, die Türkei, den Irak, den Iran, Pakistan und Indien. Um 14.36 Uhr MESZ endete die Finsternis im Golf von Bengalen. Der Schatten des Mondes raste mit einer unglaublichen Geschwindigkeit von etwa 7000 Stundenkilometer über die Erdoberfläche. Andererseits entspräche das angeblich 1 1/2 Mach – die Geschwindigkeit eines Überschallflugzeuges (1 1/2 Mach = 1800 km!).

In Österreich begann die Finsternis zwischen 11:18:30 Uhr und 11:24:09 Uhr, der Beginn der Totalität lag zwischen 12:39:56 Uhr und 12:46:28 Uhr, ihr Schluss zwischen 12:42:01 Uhr und 12:48:09 Uhr, die Totalitätslänge betrug je nach Ort zwischen 57 Sec. und 2 Min und 21 Sec. Das Ende der Finsternis ereignete sich von 14:04:13 Uhr bis 14:10:07 Uhr.

In ganz Europa beobachteten Millionen Menschen, ausgerüstet mit Papier-Metallfolie-Schutzbrillen, welche nur ein Hunderttausendstel der gefährlichen Sonnenstrahlen (darunter Infrarotstrahlung) durchließen, die vom Mond allmählich verdeckende Sonne. Applaus und Jubel brandete auf. Aber auch Stille breitete sich aus. Nachdenklichkeit und verdrängte Unsicherheit gegenüber unerbitterliche Gesetze der Himmelsmechanik sowie Ohnmacht gegenüber höheren Mächten gehörte in diesen Minuten und Stunden dazu. Innerhalb der Finsternis blitzten inmitten dem Publikum unzählige Photoapparate auf - viele Touristen wollten nun mal Erinnerungsphotos an dieses seltene Ereignis haben.

Der Heilige Vater - ein interessierter Hobbyastronom - beobachtete in seiner Sommerresidenz Castelgandolfo die Sonnenfinsternis mit einem gefärbten Spezialglas. In Israel beteten verzweifelt die Rabbiner und muslimische Geistliche riefen zum Gebet in den Moscheen auf. Fromme Menschen beteten um ein baldiges Vorüberziehen der Verdunkelung und um Frieden in der Welt.

Eine Gruppe von Finsternisbegeisterten flog mit einem Concorde-Überschallflugzeug der Totalität nach und konnte diese zumindest sechs Minuten - also beinahe das dreifache der offiziellen Totalitätszeit - beobachten. Die Concorde flog ein zweifaches der Schallgeschwindigkeit, 2.400 km/h - der Mondschatten raste dreimal so schnell über die Erde.

Während dem Höhepunkt der Totalität blieb von der Sonne lediglich ein hauchzarter Diamantring mit einer riesigen Sonnenkorona zu sehen. An der Kante waren rötliche Protuberanzen zu erblicken. Eine umspannte die Länge von 384.403 km - die der Entfernung Erde-Mond entsprach. Die Sonne misst im Durchmesser 1.392.000 km und die Erde ist von der Sonne eine Astronomische Einheit entfernt. Also 149.597.870 km.

Der eigentliche Hauptakteur, die Mondkugel durchmisst 3.476,0 km. Nur zum Vergleich: Der Durchmesser der Erde umspannt 12.742,008 km. Die Verfinsterung kam einer hellen Mondnacht gleich. Die hellsten Sterne wurden sichtbar. Unterhalb links der verdeckten Sonne konnten Astronomen die 42.900.000 km entfernte Venus erkennen. In ihrer Umgebung die kleineren Sterne Regulus und Spica. Rechts unten den 8,7 Lichtjahre entfernten Sirius, darüber Procyon (11,3 Lj.), Rigel (900 Lj.) und der 91,700.000 km entfernte Merkur. Über der Totalität gleichfalls rechts Beteigeuze (310 Lj.), Aldebaran (68 Lj.), Capella (42 Lj.) und links außen Arctur (36 Lj.) sowie völlig entfernt links oben den 26 Lichtjahre entfernten Stern Wega. Wegen der Dunkelheit sanken die Temperaturen. Wind brauste auf.

Ich fühlte mich an das Finale der Leidensgeschichte Jesu Christi erinnert. Die Finsternis dauerte bloß nur 2 1/3 Minuten. Für viele Begeisterte viel zu kurz. Offensichtlich enttäuschend kurz. Aber dankbar waren alle schon als sie wieder von Helligkeit umgeben waren. Andererseits war in dem Bereich der Kernschattenzone ständig irgendwo bewölkt und regnerisch - lediglich im Osten Österreichs klarte es auf. Doch in Wien sahen die neugierigen Finsternisbeobachter wenigstens eine partielle Sonnenbedeckung.

Hierorts verdunkelte es in Wien wie vor einem Gewitter oder bei einem Regenwettertag. Das Himmelsblau wich einem eigenartigen Graublau; die Tageshelle versank in einem schwachen aschfahlen weißen Licht, das eher kalt wirkte und die Hausmauern schärfer akzentuierte. In Wien daselbst waren die Straßen und Plätze menschenleer. Im südlichen Burgenland konnten die aus aller Welt angereisten Hobby- und Berufsastronomen eine kurze hingegen schöne Finsternis betrachten. Wer eine Schutzbrille erhaschen konnte, placierte sich entweder an einem sonnenlichtüberfluteten Platz zu Boden oder Dachgeschossen diverser höchster Gebäude. Arbeitnehmer konnten für diese paar Minuten ihre Tätigkeiten einstellen und das Himmelsschauspiel wohltuend beobachten. Wer keine Zeit hatte sah dieses Schauspiel mittels Fernsehgerät entweder live oder in den Sondersendungen.

Wissenschaftler mutmaßten eine Beeinflussung der Gravitationskräfte, bedingt durch die Aufeinanderreihung dreier Gestirne: Sonne, Mond und Erde. Knapp eine Woche zuvor - in den frühen Morgenstunden des 5. August 1999 - brach in Nikaragua der Vulkan Cerro Negro aus - 120 km nordwestlich von der Hauptstadt Managua entfernt - vor dem über 1.500 Menschen geflohen waren. Nebenher kam es zu kleineren Erdbeben. Am Finsternistag ereignete sich auf der Mittelmeerinsel Zypern ein Erdbeben mit der Stärke 5,8 auf der Richterskala. Ebenso ereignete sich in der russischen Kaukasusrepublik Dagestan - derzeit ein innenpolitischer Krisenherd - ein Beben mit der Stärke 4,5. Die Bewohner der Städte Larnaka und Limasol gerieten in Schrecken. Tausende Menschen rannten ins Freie und einige Häuser erlitten Beschädigungen. In Salt Lake City im US-Bundesstaat Utha brauste ein Tornado mit 180 Stundenkilometer durch - mit Zerstörungen und etlichen Toten. Zuvor gab dort selten so eine Naturkatastrophe. Tage später, ereignete sich am 17. August um 3 Uhr früh in der Westtürkei ein schweres 45 Sekunden lange dauerndes Erdbeben der Stärke 7,8 mit Epizentrum in Izmit nahe dem Marmarameer - über 40.000 Tote (12.000 Tote wurden bis zum 22. August geborgen) und über 350.000 Verletzte (bisher über 200.000 Obdachlose und Ausbruch von Seuchen). Am nächsten Tag ereignete sich in San Francisco ein Erdbeben der Stärke 5 - Aufzüge blieben stecken und vorsichtshalber wurde von den Behörden der öffentliche Verkehr eingestellt. Am 22. August bedrohte ein etwa 200 Stundenkilometer schneller Hurrikan im Golf von Mexico die US-Küstengebiete.

Die NASA gab Experimente in den USA, Europa und Australien in Auftrag sowie ersuchte via Internet wissenschaftliche Institutionen um Bekanntgabe naturwissenschaftlicher Beobachtungen diverser Phänomene während der Finsternis. Das im Technischen Museum in Wien aufgestellte Foucaultsche Pendel - 18 m lang - schlug während der Totalität um drei Grad (in eine andere Richtung) aus. Genauso das viel längere Pendel in der Sternwarte des Stiftes Kremsmünster (Oberösterreich) - 53 m -, das sogar sensationelle zehn Grad Differenz aufzuweisen hatte. Forscher und Astrophysiker glauben seit längerem an eine unbekannte, unerforschte Kraft. Wissenschaftler arbeiten an der Analyse und Auswertung dieses astrophysikalischen Problems. Aufzeichnungsmaterial wurde an die NASA gesandt. Wissenschaftler beobachteten die Reaktionen der Tiere. Vögel verstummten und begaben sich zur Ruhe. Hunde kläfften. Aber ansonsten gab es in der Tierwelt ebenso in wissenschaftliche Zoos keine besonderen Vorkommnisse.

Fernsehstationen aus aller Welt bemühten sich mittels Liveübertragungen die Sonnenfinsternis zu übertragen. Die Totalität als Hauptakteur. An mancherlei Orten in der Kernschattenzone fanden Feste und sonstige heitere oder sakrale Zusammenkünfte statt. So etwa boten in Anlehnung keltischer Gebräuche moderne Druiden mitsamt ihrer Anhängerschar kultische Handlungen dar.

Skurrilste Ideen wurden erdacht. Die jeweilige regnerische Wetterstimmung verdarb oft vielen den Spaß. Dennoch trotz Trübnis und Nässe brach kurzzeitig die "rasende Nacht" heran und verschwand. Der 11. August 1999 war der Tag mit den zwei Nächten. In der Ferne schimmerte das farbige sommerliche Tageslicht. Hauptsache manche Gegenstände, abgestimmt auf das Jahrhundertereignis, verkauften sich.

Während der Totalität - obschon ich nur vom Standpunkt her eher am Rand des Kernschattens harrte - befiel mich ein mulmiges Gefühl. Auch für mich war diese "SoFi" schon viel zu lang. Aber das hatte auch seinen Grund: Ein Mondschatten der über einen Teil des Erdglobus rast scheint normal. Jedoch weil dieses Ereignis lediglich in jahrhundertelangen Abständen wiederkehrt erscheint - für mich und in unseren Breiten - auf jeden Fall ungewohnt.

Schon die alten Babylonier beobachteten die älteste datierte Sonnenfinsternis am 15. Juni 763 v. Chr. Adalbert Stifter widmete der vorletzten in Österreich gesehenen totalen Sonnenfinsternis vom 8. Juli 1842 ein literarisches Denkmal, gepackt in einer schweren dessenungeachtet verständlichen Sprache: "... denn nicht anders als wie der letzte Funke eines erlöschenden Dochtes schmolz eben auch der letzte Sonnenfunken weg, wahrscheinlich durch die Schlucht zwischen zwei Mondbergen zurück - es war ein ordentlich trauriger Anblick - deckend stand nun Scheibe auf Scheibe, und dieser Moment war es eigentlich, der wahrhaft herzzermalmend wirkte - das hatte keiner geahnet - ein einstimmiges 'Ah' aus aller Munde und dann Totenstille, es war der Moment, da Gott redete und die Menschen horchten."

Die nächste in Österreich sichtbare Sonnenfinsternis findet am 3. September 2081 (Westösterreich) und danach am 2. Oktober 2350 statt. Die nächste über Deutschland sichtbare Totalität findet am 7. Oktober 2135 statt. (Die nächsten außerösterreichischen Sonnenfinsternissen finden am 21. Juni 2001 über Angola, Zambia, Zimbawe, Mozambique und Madagaskar, am 4. Dezember 2002 über Angola, Botswana, Zimbawe, Südafrika und Südaustralien, am 23. November 2003 in der Antarktis, am 29. März 2006 über Ostbrasilien, Ghana, Togo, Benin, Nigeria, Niger, Tschad, Libyen, Ägypten, Türkei, Kasachstan und Südrußland, am 1. August 2008 über Nordkanada, Grönland, Rußland, Mongolei und China, am 22. Juli 2009 über Indien, Nepal, Bhutan, China und vor allem Shanghai. (Die Längen erstrecken sich zwischen 6 Min. 39 Sec. und 1 Min. 57 Sec.))

Irgendwann, wohl in Millionen Jahren wird es so eine Sonnenfinsternis in dieser Form nicht mehr geben, weil der Mond sich von der Erde im Jahr um vier Zentimeter entfernt.

Für den Tag der Sonnenfinsternis befürchteten verstörte Zeitgenossen an den Börsen massive Kurseinbrüche. Nichts von dem vorhergesagten geschah. An der Wiener Börse blieb es ruhig. Die Börsen der ganzen Welt registrierten kaum Änderungen im Verhalten ihrer Kunden. Im Gegenteil, es kam noch zu einem Plus der Aktienkurse. Andererseits brachte diese Verfinsterung in Europa für die Wirtschaft Einnahmen in Milliardenhöhe. Ich verweise an den Verkauf der Sonnenfinsternisbrillen, Buchungen in den der Totalitätszone gelegenen Ferienorten, kurzzeitig angemietete Unterkünfte. Auch der Souvenirartikelhandel blühte auf: Sonnenfinsterniswein usf. - daneben gab es Finsternismehlspeisen ...

Nachteile gab es auch: In Ostösterreich kam es auf den Autobahnen zu zeitaufwendigen Staus und Verkehrszusammenbrüchen. In den Augenkliniken erschienen Menschen mit Augenbeschwerden - stets hatten die Ärzte vor dem intensiven ungeschützten Blick in die Sonne gewarnt.

Widerstand gegen die aktive Beteiligung am Finsternisausflug regte sich auch von einigen wenigen aufgeklärten Zeitgenossen. Beunruhigt zeigten sie sich wie vernunftbegabte Menschen - in Gegenwart eines normalen astronomischen Schauspiels - mit einem Mal nach Schutzbrillen verlangten und zu Hunderttausenden zu den besten Beobachtungsplätzen pilgerten.

Glücklich waren die Menschen auch, weil der von Nostradamus und seinen Nachfolgern für diesen Tag vorausgesagte und vorausgeahnte Weltuntergang nicht stattfand. In früheren Zeiten sahen die Menschen mangels an Kenntnissen der Himmelsmechanik in Sonnenfinsternissen Vorboten großer katastrophaler Ereignisse. Die eigenartige Konstellation Sonne-Mond-Erde wurde in Übereinstimmung der Sternzeichen von den Astrologen als "Kreuz" interpretiert, das andererseits wegen seiner negativen Grundtendenz ohne weiteres auch als Neubeginn wie Neuanfang einer friedlichen Welt gewertet wurde.

Ernst Zentner, 25. August 1999

Beginn und Totalität der Sonnenfinsternis vom 11. August 1999
Beginn und Totalität der Sonnenfinsternis vom 11. August 1999 – Grafik Ernst Lanz
Ttalitärt der Sonnenfinsternis
Totalität der Sonnenfinsternis
Totalität der Sonnenfinsternis, am Rand die Protuberanzen

Copyright Ernst Lanz 1999/2004/2019

Siehe bitte Foto: --> AEIOU/Sonnenfinsternis