Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Ihre Botschaft geht vollkommen anonym nur an das Administrator Team. Danke fürs Mitmachen, das zur Verbesserung des Systems oder der Inhalte beitragen kann. ACHTUNG: Wir können an Sie nur eine Antwort senden, wenn Sie ihre Mail Adresse mitschicken, die wir sonst nicht kennen!
unbekannter Gast

Über die Kunst des Übersetzens #

Persönliche Erinnerungen, Facetten einer Literaturgeschichte und Reflexionen über die Kunst der Übersetzung: Der Autor, Anglist und Übersetzer Klaus Reichert erzählt vom Scheitern am Schreiben und der Faszination an Sprache und Literatur. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: Die Furche (25. März 2021)

Von

Brigitte Schwens-Harrant


Klaus Reichert
Klaus Reichert. Der emeritierte Professor für Anglistik übersetzte William Shakespeare, Lewis Carroll, James Joyce, Charles Olson, Robert Creeley, John Cage, das Hohelied u. a.
Foto: Amrei-Marie. Aus: Wikicommons, unter CC BY-SA 4.0

„Es gibt keinen besseren Autor, um lesen zu lernen,“ schreibt Klaus Reichert über James Joyce. Und: Paul Celans späte Gedichte würde er heute nicht mehr zu interpretieren wagen. Beide Aussagen charakterisieren den Übersetzer, Autor, Wissenschaftler und Lektor Klaus Reichert. Das Inkommensurable reizt ihn, dem Schwierigen, Überkomplexen gilt seine Neugier. Diese ging einher mit Respekt vor der Sprache und vor Kunstwerken, die sich dem Verstehen letztendlich entziehen. Offene Fragen werden ausgehalten, ja, gerade sie sind es, die das Übersetzen und literarische Texte so reizvoll machen.

Es ist diese Haltung, die in Klaus Reicherts Buch „Die Leichtigkeit des Schweren“ spürbar wird, entstanden aus den „Grazer Vorlesungen zur Kunst des Schreibens“, die aufgrund der Pandemie allerdings gar nicht gehalten wurden. Die Texte erzählen einerseits die Verschränkung von Leben und Literatur, die in diesem Fall des Lektors und Professors für Anglistik besonders wirksam war; sie öffnen andererseits anhand einiger Beispiele Fenster zur wundersamen Welt der Literaturübersetzung.

Die Kindheit des 1938 Geborenen war geprägt von Krieg und Nächten im Luftschutzkeller. Aus dem Paradies der Sprache, die ihm unter anderem in den Grimmʼschen Märchen und in den Liedern Paul Gerhardts begegnete, konnte ihn aber niemand vertreiben. Die im Lauf der Jahre folgenden Lektüren und Begegnungen lesen sich wie Facetten einer Literaturgeschichte – und diese wird durch die persönliche Erinnerung besonders gefärbt. So beschreibt Reichert, wie Theodor W. Adorno Zuhörende bei seinen Vorträgen „an der allmählichen Verfertigung der Gedanken“ teilhaben ließ. Und man erfährt, was Ernst Jandl bei einem Treffen mit dem Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld geschah. Dieser sagte zu Jandl, seine Texte seien keine Gedichte, er, Unseld, „wäre aber erbötig, ihm zu zeigen, wie man Gedichte schreibe. Das wars dann.“

Sichtbar wird beim Lesen dieser Erinnerungen aber auch, wie männlich geprägt die hier erzählte Literaturgeschichte ist. All die Klassiker, von denen berichtet wird, sind Männer, angefangen bei Robert Curtius und Erich Auerbach über James Joyce und Walter Benjamin bis zu Samuel Beckett. Nur Virginia Woolf schafft es, einige Male erwähnt zu werden, unter anderem als großartige Essayistin. Am Ende gibt es noch kurze Auftritte von Gertrude Stein und Djuna Barnes.

Wohltuend ist bei einem Text über die „Kunst des Schreibens“ die Thematisierung des Scheiterns an demselben. Wenn Reichert etwa beschreibt, wie er wochenlang versuchte, einen Klappentext zu Celans späten Gedichten zu verfassen. Es „ging natürlich gründlich schief.“ Er schrieb: „Schrumpfende äußere, zunehmende innere Realität“. Celan antwortete: „nein, ‚Atemwende‘ ist kein ‚Weg nach Innen‘, Aussen und Innen sind hier verstrebt, aufgehoben in der einen Sprachwirklichkeit des Gedichts.“

Die Texte von James Joyce hatten es Reichert früh angetan, Texte, in denen die Wörter von einer Sprache in die andere „schwappten“. „Jede neue Sprache bedeutete eine neue Welt, veränderte aber auch den Blick auf die eigene“, weiß Reichert, der Latein, Griechisch und Hebräisch lernte. Er thematisiert die Übersetzung der Bibel ebenso wie Christoph Martin Wielands Shakespeare-Übersetzungen. „Wenn Dramaturgen heute sagen, wir spielen den Schlegel/Tieck, das ist immer noch die beste Übersetzung, stimme ich mit der Einschränkung zu: Dann spielen Sie einen Weimarer Klassiker, keinen Elisabethaner.“

Reicherts Idee von Übersetzung nimmt „Abschied vom Äquivalenzprinzip, von Treue, von Kompatibilität, von Angemessenheit“; er stellt die Frage: „was und zu welchem Ende, mit welchen Möglichkeiten und Erwartungen wird etwas in einen anderen Kontext versetzt?“ Es gehe nicht nur um die Bedeutungen von Wörtern, heute oder früher, hier oder dort, sondern „es geht auch um deren Länge oder Kürze, um Assonanz oder Alliteration, wann welches Wort im Satz oder im Vers kommt, es geht um das Verhältnis von Metrum und Rhythmus, gereimt oder nicht, männliche oder weibliche Reime, die Bedeutung von metrischen Verstößen, es geht um den Klangwert der Vokale, Halbvokale und Konsonanten, um Prä- und Postpositionen, Funktionssilben in Deklination und Konjugation“. Die „anglophone Monokultur selbst in den geisteswissenschaftlichen Fächern unserer Universitäten“ sieht der Anglist äußerst kritisch. Seine Vorlesungen, so Reichert im Vorwort, seien „der traurige Abschied von einer Welt von Gestern.“

Buchcover: Die Leichtigkeit des Schweren

Die Leichtigkeit des Schweren.

Lesen. Verstehen. Übersetzen.

Von Klaus Reichert

Droschl 2021

105 S., kart., € 15,–

Die Furche, 25. März 2021