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2.2 Bedeutung fĂŒrBiografieundWerk
Dort saĂschoneinHĂ€ufleinbeisammen, fast alle, seit einerStunde,
verlorene Existenzen [...]. Ădön von HorvĂĄth war dabei, Franz
Theodor Csokor, unser Freund Albrecht Joseph, auch Alexander
Lernet-Holenia, der â ohne selbst direkt bedroht zu sein â sich
uns zugehörig fĂŒhlte. [...] FĂŒr Lernet-Holenia blieb gar nichts
anderesĂŒbrig, alshier zubleiben, abererbetrauerte schmerzlich
nicht nur den Verlust seiner liebsten Freunde und den schmÀhli-
chen Untergang seines Landes, sondern auch die bevorstehende
Abwanderung der jĂŒdischen Frauen und MĂ€dchen, die er fĂŒr die
einzigbegehrenswertenhielt. ErmuĂteumlernen.54
IndieserâvonZuckmayerwohlalsAusweisvonLernetsPhilosemitismus
intendierten55 âBemerkungmanifestiert sichnebeneinerBagatellisie-
rung56 der Lage der Betroffenen ein recht zweifelhaftes Frauenbild;
hier ist jedoch nicht der Ort, diese recht verbreitete Verbindung von
AntisemitismusundSexismusnÀher zuuntersuchen.57
54 Zuckmayer: Als wĂ€râs ein StĂŒck von mir, S.62f. Lernets Biograf verlegt diese Szene
kurzerhand auf den 13. MĂ€rz, den Tag des âAnschlussesâ (RocËek: Die neun Leben,
S.202f.). Der VollstÀndigkeit halber sei jedoch auch Leo Perutz wiedergegeben, der
angab, seinFreundLernethabesichnachdemâAnschlussânichtmehrbei ihmgemeldet:
âUnserLernet, derbis zuHitlersEinmarschzweimalwöchentlich sichbeimirmitmir
âzusammenrotteteâ lieĂ seit dem 12. MĂ€rz 38 nicht mehr von sich hören, ja nicht einmal
einen Telefonanruf bei mir hat er riskiertâ (Brief an Hugo Lifczis vom 15. 4. 1947,
zit. nachHans-HaraldMĂŒller/BritaEckert:LeoPerutz1882â1957.EineAusstellungder
deutschen Bibliothek Frankfurt am Main. Ausstellung und Katalog. Wien: Paul Zsolnay
Verlag1989,S.342).
55 Von manchen Interpreten wurde das auch so aufgefasst: âVon Antisemitismus muĂ
er (wie schonseinFreundeskreis zeigt) völlig frei gewesensein,underhielt jĂŒdische
Frauen und MĂ€dchen sogar fĂŒr die einzig begehrenswertenâ, gibt etwa Han (ohne
Quellenangabe)ZuckmayersDiktumwieder (Han:StudienzueinerMonographie, S.151;
aberauchRocËek: DieneunLeben, v.a. S.212ff.).
56 Dassanowsky schreibt dazu: âCarl Zuckmayer recalls Lernet-Holeniaâs solidarity with
thegroup,butneverthelessbetrays theauthorâs lackof comprehension regarding the
implications of National Socialist racial policies [...]â (Dassanowsky: Phantom empires,
S.89).
57 Kajetan von Schlaggenberg etwa, einer der Protagonisten von Heimito von Doderers
DĂ€monen und Alter ego des Autors, wird von einer âDicke-Damen-DoktrinĂ€r-SexualitĂ€tâ
beherrscht, die ihn beleibte Damen des jĂŒdischen BĂŒrgertums attraktiv finden lĂ€sst,
wofĂŒr er im Roman mehrfach kritisiert wird (Heimito von Doderer: Die DĂ€monen. Nach
der Chronik des Sektionsrates Geyrenhoff. Roman. 3. Aufl. MĂŒnchen: dtv 1993, S.670,
851). Doderer hat Fixierungen wie diese â denen er zeitweise selbst unterlag â als
Ausdruck totalitÀren Bewussteins demaskiert (ders.: SexualitÀt und totaler Staat. In:
Wendelin Schmidt-Dengler [Hrsg.]: Die Wiederkehr der Drachen. AufsĂ€tze â Traktate
â Reden. Vorwort von Wolfgang H. Fleischer. 2., durchges. Aufl. MĂŒnchen: C.H. Beck
1996, S. 275â298). TatsĂ€chlich ĂŒberlagern sich in der ChimĂ€re der âschönen JĂŒdinâ
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Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
Briefe 1938-1945
- Titel
- Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
- Untertitel
- Briefe 1938-1945
- Autor
- Christopher Dietz
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78887-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorien
- Weiteres Belletristik