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2 Einführung
In Mars im Widder ereignet sich in eben jenem Tarnów ein ganz
wesentlicher Moment: Hier öffnet sich für Wallmoden die Tür zu seiner
ErinnerungandenErstenWeltkrieg:
Hier war es, wo wir in den Zug stiegen, hier an dieser Stelle. Ich
war damals achtzehn Jahre, oder wenig mehr. [...] Ich weiß noch
genau die Namen der Leute, die uns Lebewohl sagten. Ich erinnere
michan ihreGesichter. Ichweißnoch fastalleWorte,die sie sagten.
Mir ist, als sei esgesterngewesen.Es ist jaauchnichtallzu lange
her.Eswarvorungefährdreiundzwanzig Jahren.110
WallmodengerinntdieZeit zwischendemletzten,dem„Großen“,und
demebenbegonnenKriegzueinemseltsamenKontinuum,einer „Zwi-
schenzeit“, in dem nicht politische oder sonst wie rational erklärbare
Sweceny schreibt später ineinem Briefkonzept: „Es war so wie der Alexander in Polen
war, für ihn und mich, eine tief glückliche Zeit bei aller Sorge. Nun müßte ich sagen:
dasklingt schlimm.DasTraurige ist, daßmanesnichthaltenkann, eskannvergehen“
(Maria Charlotte Sweceny: Briefkonzept an Gerhard T. Buchholz (SteinFA). o.O. [St.
Wolfgang]. o.D.).
110 A. Lernet-Holenia: Mars im Widder, S.169f. Vgl. auch Lernets Worte „Ich glaubte, wahn-
sinnig geworden zu sein, weil ich plötzlich das deutliche Gefühl hatte, genau dort
fortzusetzen, wo ich 1918 aufgehört hatte“ (Anon.: Pro-memoria Besprechung mit
DirektorLorbekam12. Juni1972[WienB,Handschriftensammlung,TeilnachlassAle-
xanderLernet-Holenia (M09H),ZPH630,MappeBio-undbibliographischesMaterial].
12. Juni1972).DassanowskydeutetdieseErinnerungWallmodensalsAusdruckwenn
nicht antinazistischer, so doch altösterreichischer Gesinnung: „Considering the small
German-Austrianpopulation inTarnowprior to1918, thepeopleWallmodenrefers to
must have included Poles and those of Austrian-Polish extraction. This indication of
historic sociopolitical and cultural interrelationship with the German peoples further
subverts the National Socialist image of the Poles“ (Dassanowsky: Phantom empires,
S.109).DasFaibleLernet-Holenias fürPolen imAllgemeinenunddessenAristokratie im
Besonderen istbekanntundkommtauch indenBriefenanLotteSweceny immerwieder
zumAusdruck, vgl. etwadieWortevom„entzückendenHauseinesPans, einesHerrn
v. Kowerski“ (S.102), von „einem meiner – von früher noch geliebten – polnischen
Bauernhäuser“ (S.105)oderdieatmosphärischeSchilderungderSchlösser, indenen
ein anderes Regiment einquartiert ist (S.110). Han schreibt zu Lernets Polen-Bild: „Die
Vorstellungen von Polen reichen von romantisch-wilden Phantasien bis zu märchen-
haften Traumidealen und müßten eher als naiver Mystizismus, denn als historisch
verifizierbareAussagebezeichnetwerden,wieüberhauptLernet-Holeniasübergroße
Zuneigung zu diesem Land nur schwer nachvollziehbar ist“ (Han: Studien zu einer
Monographie, S.145).NachvollziehbarwirddieseZuneigung,bedenktman,dassdie
Zeit als Dragonerfähnrich im Ersten Weltkrieg – vor allem auch in Polen – zweifellos
zudenamstärkstenpersönlichkeitsformendenErlebnissenAlexanderLernet-Holenias
zählt.Möglichauch,dassLernetdie IdeederpolnischenAdelsrepublikmehrzusagte
alsder– in späterenJahrenvon ihmhäufigattackierte–Absolutismushabsburgischer
Prägung.
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Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
Briefe 1938-1945
- Titel
- Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
- Untertitel
- Briefe 1938-1945
- Autor
- Christopher Dietz
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78887-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorien
- Weiteres Belletristik