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2 Einführung
Ich finde überhaupt viel Anlass, mit damals zu vergleichen. So
unähnlich nämlich diese beiden Auseinandersetzungen einander
sind, so haben sie doch so viel Ähnlichkeit wie etwa das Wirkliche
mitdemGespenstischen:gespenstischdeshalb,weilwir,was früher
geschehen ist, damals schongenauundklar sehenkonnten. [...]
Und zwischen diesen zwei Erscheinungen liegen diese rätselhaften
zwanzig JahrederNachkriegszeit, inderdieWelt anderswar, als
sie jegewesenundjeseinwird,dieVorhutsozusageneinerZukunft,
diewiederumanders seinwirdals ihreVorhut (S.112).116
DieZukunft,hatteLernetbereits imHerbst1938etwasnebulösanLotte
Sweceny geschrieben, sei „nicht mehr nach den Gesetzen der Logik
zubestimmen[...], sondernnachdem,wasausdieserunerklärlichen
Verzauberung,diedieganzeWeltbefallenhat,nochwerdenwirdund
werdenmuß“(S.91).VonderZukunfthatdasRegime,aufdessenBefehl
der Autor solcher Zeilen sich gerade am Überfall auf Polen beteiligt hat,
dochdenkbarandereVorstellungen.
Wenn Lernet-Holenia sich auch darauf verlassen haben mag, dass
Überlegungen wie diese den Horizont der Feldpost-Zensurstelle117 über-
stiegenhabenmögen, istdennochdavonauszugehen,dasserdieZensur
beim Schreiben der Briefe die meiste Zeit mitdachte, ja dass der bis-
heralsnicht eben regimekonformbekannteAutor inmanchenBriefen
sogar die Gelegenheit nutzte, seine soldatische Seite hervorzukehren
und scheinbar in die Nazi-Propaganda rund um den „Polenfeldzug“
einzustimmen (und damit von der Tatsache abzulenken, dass er mit
einer „Halbjüdin“korrespondierte). Lernet-Holeniabedient sichdabei
116 „Also stimmtnichtnurdieäussereSituationWallmodensmitderbiografischenLernet-
Holeniasüberein, sondernauch imWeltverständnisund inderDistanzierungzurGe-
genwart entspricht Wallmoden in vielem Lernet-Holenias Persönlichkeit [...]“ (Müller-
Widmer: AlexanderLernet-Holenia.Grundzüge seinesProsa-Werks, S.72).
117 DassLernetsBriefverkehrwährendseinerAufenthalte inder „Reichshauptstadt“über-
wachtwurde, kannals gesichert gelten. InSt.Wolfgangwurde „sowohlLernets einlan-
gende wie auch seine abgehende Post [...] – laut Auskunft der Gemeinde St.Wolfgang
– während der Nazizeit überwacht“ (Rocˇek: Die neun Leben, S.215). Dass Mars im
WidderalsVorabdrucküberhaupterscheinenkonnte,nimmtMarianneGruberals „Beleg
dafür, daßZensorenzumGlückdesöfterendummsind“ (MarianneGruber:Vorwort.
In:ThomasHübel/ManfredMüller/GeraldSommer[Hrsg.]:AlexanderLernet-Holenia.
ResignationundRebellion. „Bin ichdennwirklich,was ihr einstwart?“BeiträgedesWiener
Symposions zum 100. Geburtstag des Dichters [Studies in Austrian Literature, Culture
AndThought].Riverside,CA:AriadnePress2005,S.7–11,hierS.9).
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Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
Briefe 1938-1945
- Titel
- Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
- Untertitel
- Briefe 1938-1945
- Autor
- Christopher Dietz
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78887-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorien
- Weiteres Belletristik