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2.2 Bedeutung fürBiografieundWerk
seiner „halbjüdischen“ Gefährtin und anderen Juden fungierte, so wäre
damit immernochnichtsdarübergesagt,wieeresprinzipiellmitden
Juden hielt.261 Eine Spielart des Antisemitismus wurde Lernet attestiert,
undzwarvonniemandGeringeremals seinerP.E.N.-Club-Kolleginund
Freundin Hilde Spiel, die am 24. Oktober 1969 an den gemeinsamen
Freund Alexander Hartwich schrieb: „Sie kennen Alexander ja schon
lange, viel viel längerals ich.War Ihnendennsein tief eingewurzelter,
‚kavaliersmäßiger‘ Antisemitismus nicht längst bekannt? Ist Ihnen seine
Natur, seinCharakterbisnunverborgengeblieben[...]?“262 –Lernet
hatte von „Saujuden“ gesprochen – „widerliche[] Worte“,263 wie sich
Hartwich Spiel gegenüber empörte.264 Diese, selbst Jüdin, stellt in ihrer
Replik eine Verbindung zwischen Lernet-Holenias Herkunftskomplex
und seinen – sich u.a. auch in erratischem Antisemitismus äußernden –
Ressentimentsher:
Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass er nicht schon in seiner
Jugendähnlichgedachtodergeredethabensollte, dass vorallem
der schwere Komplex, an dem er leidet [...], nämlich die Wut
über sein nicht-Adligsein, die ganze Konstruktion seiner hohen und
illegitimen Herkunft, dass all dies nicht schon immer bestanden
hat.
Ich bin froh, dass Sie mir diese Beweisstücke geschickt haben. Aber
ausvielenGründen ist esmirnichtmöglich,mehrzu tunals sie zur
Kenntniszunehmen–alseinIndizmehrüberdieGemütsverfassung
261 Zuseinerzweifelhaften,zwischenAntisemitismusundSexismuschangierendenVorliebe
für jüdischeFrauensieheobenFN 55.
262 HildeSpiel:Brief anAlexanderHartwich (ÖLA,NachlassHildeSpiel, 15/91,Mappe2
[1960–1975]). o.O.24.Okt. 1969.
263 AlexanderHartwich:Brief anHildeSpiel (ÖLA,NachlassHildeSpiel, 15/91,Mappe2
[1960–1975]). o.O. 21. Okt. 1969. Die Briefe Lernets aus diesen Jahren strotzen vor
wüstenBeschimpfungenundgrobenKraftausdrückenanallemöglichenAdressen:Als
„Sau“werdenu.a.CurzioMalaparte,HansHabe,HelmutKindler, SigmundFreudund
Günter Grass bezeichnet; auch Ausdrücke wie „Drecksau“ oder „slawische Dienstbo-
tenseele“ sind keine Seltenheit. Eine „ideologische Befangenheit, eine Verfangenheit
in der deutsch-nationalen Gedankenwelt“ war bei Lernet-Holenia unleugbar vorhan-
den,wieDanielaStrigl anhandderGermanien-Zeile vom„[...]Mord/amBlute,das
Jahrhunderte zu Gast war [...]“ zeigt: „Denn wie sollte, was, wie das deutsche, wie
dasösterreichischeJudentum, ‚JahrhundertezuGastwar‘, noch fremdseinkönnen?“
(Strigl: ÜberdasZeitgemäßeanLernets „Germanien“, S.80).
264 Über dieser Auseinandersetzung ging die langjährige Freundschaft zwischen Lernet und
HartwichzuBruch.
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Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
Briefe 1938-1945
- Titel
- Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
- Untertitel
- Briefe 1938-1945
- Autor
- Christopher Dietz
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78887-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorien
- Weiteres Belletristik