Page - 75 - in Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny - Briefe 1938-1945
Image of the Page - 75 -
Text of the Page - 75 -
2.2 Bedeutung fĂŒrBiografieundWerk
seiner âhalbjĂŒdischenâ GefĂ€hrtin und anderen Juden fungierte, so wĂ€re
damit immernochnichtsdarĂŒbergesagt,wieeresprinzipiellmitden
Juden hielt.261 Eine Spielart des Antisemitismus wurde Lernet attestiert,
undzwarvonniemandGeringeremals seinerP.E.N.-Club-Kolleginund
Freundin Hilde Spiel, die am 24. Oktober 1969 an den gemeinsamen
Freund Alexander Hartwich schrieb: âSie kennen Alexander ja schon
lange, viel viel lÀngerals ich.War Ihnendennsein tief eingewurzelter,
âkavaliersmĂ€Ăigerâ Antisemitismus nicht lĂ€ngst bekannt? Ist Ihnen seine
Natur, seinCharakterbisnunverborgengeblieben[...]?â262 âLernet
hatte von âSaujudenâ gesprochen â âwiderliche[] Worteâ,263 wie sich
Hartwich Spiel gegenĂŒber empörte.264 Diese, selbst JĂŒdin, stellt in ihrer
Replik eine Verbindung zwischen Lernet-Holenias Herkunftskomplex
und seinen â sich u.a. auch in erratischem Antisemitismus Ă€uĂernden â
Ressentimentsher:
Ich kann mir nÀmlich nicht vorstellen, dass er nicht schon in seiner
JugendÀhnlichgedachtodergeredethabensollte, dass vorallem
der schwere Komplex, an dem er leidet [...], nÀmlich die Wut
ĂŒber sein nicht-Adligsein, die ganze Konstruktion seiner hohen und
illegitimen Herkunft, dass all dies nicht schon immer bestanden
hat.
Ich bin froh, dass Sie mir diese BeweisstĂŒcke geschickt haben. Aber
ausvielenGrĂŒnden ist esmirnichtmöglich,mehrzu tunals sie zur
KenntniszunehmenâalseinIndizmehrĂŒberdieGemĂŒtsverfassung
261 Zuseinerzweifelhaften,zwischenAntisemitismusundSexismuschangierendenVorliebe
fĂŒr jĂŒdischeFrauensieheobenFN 55.
262 HildeSpiel:Brief anAlexanderHartwich (ĂLA,NachlassHildeSpiel, 15/91,Mappe2
[1960â1975]). o.O.24.Okt. 1969.
263 AlexanderHartwich:Brief anHildeSpiel (ĂLA,NachlassHildeSpiel, 15/91,Mappe2
[1960â1975]). o.O. 21. Okt. 1969. Die Briefe Lernets aus diesen Jahren strotzen vor
wĂŒstenBeschimpfungenundgrobenKraftausdrĂŒckenanallemöglichenAdressen:Als
âSauâwerdenu.a.CurzioMalaparte,HansHabe,HelmutKindler, SigmundFreudund
GĂŒnter Grass bezeichnet; auch AusdrĂŒcke wie âDrecksauâ oder âslawische Dienstbo-
tenseeleâ sind keine Seltenheit. Eine âideologische Befangenheit, eine Verfangenheit
in der deutsch-nationalen Gedankenweltâ war bei Lernet-Holenia unleugbar vorhan-
den,wieDanielaStrigl anhandderGermanien-Zeile vomâ[...]Mord/amBlute,das
Jahrhunderte zu Gast war [...]â zeigt: âDenn wie sollte, was, wie das deutsche, wie
dasösterreichischeJudentum, âJahrhundertezuGastwarâ, noch fremdseinkönnen?â
(Strigl: ĂberdasZeitgemĂ€ĂeanLernets âGermanienâ, S.80).
264 Ăber dieser Auseinandersetzung ging die langjĂ€hrige Freundschaft zwischen Lernet und
HartwichzuBruch.
75
Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
Briefe 1938-1945
- Title
- Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
- Subtitle
- Briefe 1938-1945
- Author
- Christopher Dietz
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78887-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 468
- Categories
- Weiteres Belletristik