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ALJ 1/2015 Stefan Arnold 10
bot des § 1 Abs 2 IPRG zumindest insoweit ernst, als Korrekturen nur bei überwältigend starken
Argumenten zulässig sind.46 Solche sind bei Kunstgegenständen nicht ersichtlich. Auch de lege
ferenda dürfte weniger eine nationale Lösung als vielmehr internationales oder zumindest euro-
päisches Einheitsrecht vorzugswürdig sein, das die Besonderheiten von Kunstgegenständen aus-
reichend berücksichtigt.47
C. Zur Reichweite des Sachenrechtsstatuts bei Kunstgegenständen
1. Rechtsgeschäftlicher Eigentumserwerb und Ersitzung
Für den Eigentumserwerb gilt bei Kunstgegenständen also wie bei anderen beweglichen Sachen
auch das Sachrecht des Ortes, an dem sich die Sache bei Vollendung des Erwerbsvorgangs befin-
det. Werden beispielsweise Kunstgegenstände auf österreichischem Boden übereignet, gelten
die Regeln des ABGB; erfolgt die Übereignung in Italien, ist italienisches Sachenrecht maßgeblich.
Die lex rei sitae regelt dabei auch den gutgläubigen Erwerb48, der bei Kunstgegenständen beson-
ders bedeutsam ist. Das ist gerade auch mit Blick auf den Verkehrsschutz sachgerecht49: Die
Regeln über den gutgläubigen Erwerb erleichtern ja jeweils den Rechtsverkehr vor Ort. Die lex rei
sitae bestimmt daher unter anderem, in welchen Fällen Kunstgegenstände auch gutgläubig er-
worben werden können und welcher Maßstab für den guten Glauben gilt.50
Ebenso erfasst die lex rei sitae den Erwerb bei Versteigerungen.51 So gilt beispielsweise deutsches
Sachenrecht, wenn die Versteigerung in Deutschland erfolgt – was wegen der Regelung des § 935
Abs 2 BGB von besonderer Brisanz ist: Gem § 935 Abs 2 BGB ist der gutgläubige Erwerb insbe-
sondere auch bei gestohlenen Sachen möglich, wenn er im Wege öffentlicher Versteigerung er-
folgt.52
Nach der lex rei sitae wird auch die Ersitzung beurteilt53; entscheidend ist dabei aber gem § 31
Abs 1 IPRG der Zeitpunkt der Rechtsvollendung, also des Ablaufs der Ersitzungsfrist. Daher gewinnt
gerade bei der Ersitzung eine zentrale Konsequenz der lex rei sitae-Anknüpfung herausragende
Bedeutung: Ändert das Kunstwerk seinen Lageort, ändert sich auch das anwendbare Recht54; es
46 Neumayr in KBB4 § 1 IPRG Rz 4; Verschraegen in Rummel, ABGB II/63 § 1 IPRG Rz 5; Schwimann, IPR3 29; Schwind, IPR
Rz 145 ff. Aus der Rechtsprechung dazu etwa: OGH 2 Ob 196/04v JBl 2007, 60 (Gelter) = IPRax 2007, 457 (Koch):
Anfechtungsansprüche; OGH 1 Ob 577/93 SZ 66/112; 7 Ob 281/00z SZ 74/44: Verlöbnis.
47 Wendehorst in Rixecker/Säcker/Oetker, MüKo BGB XI6 Art 43 EGBGB Rz 193; Reichelt, Kulturgüterschutz und Inter-
nationales Privatrecht, IPRax 1986, 73.
48 Vgl Verschraegen in Rummel, ABGB II/63 § 1 IPRG Rz 10; Anton, Handbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestituti-
onsrecht II: Zivilrecht – Guter Glaube im Internationalen Kunsthandel (2010) 40 f.
49 Looschelders, Internationales Privatrecht (2004) Art 43 Rz 14; Kropholler, IPR6 556 f; Schack, Kunst und Recht2
Rz 519; Mansel plädiert für das deutsche Kollisionsrecht für eine den ursprünglichen Eigentümer stärker schüt-
zende Lösung: Beim Gutglaubenserwerb von abhanden gekommenen Sachen sei der maßgebliche Anknüp-
fungszeitpunkt entgegen der hM (und auf Grundlage der Ausweichklausel des Art 46 deutsches EGBGB) der des
Abhandenkommens, vgl Mansel in Staudinger, BGB (2015) Art 43 EGBGB Rn 827 ff sowie Art 46 EGBGB Rn 62 ff
und 82 ff mwN auch zur hM.
50 Damm in Hoeren/Holznagel/Ernstschneider 248 f; Looschelders, IPR Art 43 Rz 31; Verschraegen in Rummel, ABGB II/63
§ 31 IPRG Rz 10; Anton, Guter Glaube, 40 ff; Schack, Kunst und Recht2 Rz 507, 523.
51 Siehe nur Müller-Katzenburg, Besitz- und Eigentumssituation bei gestohlenen und sonst abhanden gekommenen
Kunstwerken, NJW 1999, 2551 (2554 f).
52 Zu den damit zusammenhängenden Problemen etwa Müller-Katzenburg, NJW 1999, 2554 f.
53 Looschelders, IPR Art 43 Rz 30; Verschraegen in Rummel, ABGB II/63 § 31 IPRG Rz 20, 22; Schack, Kunst und Recht2
Rz 522.
54 Neumayr in KBB4 § 31 IPRG Rz 3; Verschraegen in Rummel, ABGB II/63 § 31 IPRG Rz 22; Jayme, Entartete Kunst 26 f.
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Austrian Law Journal
Band 1/2015
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2015
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 188
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal