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ALJ 1/2015 Konventionskonformität des Gesichtsbedeckungsverbots 90
bedeckung ablichten zu lassen.15 Diese Eingriffe in das Recht auf freie Religionsausübung hielt
der EGMR jeweils für notwendig und verhältnismäßig im Hinblick auf die Erreichung des verfolg-
ten Ziels (Schutz der öffentlichen Sicherheit bzw Ordnung) und die entsprechenden Beschwerden
somit für unzulässig.
In zwei Konstellationen hingegen erkannte der Gerichtshof im Verbot, gewisse religiöse Symbole
und Kleidung zu tragen, sehr wohl eine Verletzung des Rechts auf freie Religionsausübung. Im
Fall Ahmet Arslan ua waren die Bf aufgrund des Verstoßes gegen Vorschriften, die das Tragen
bestimmter religiöser Kleidungsstücke an öffentlichen Orten unter Strafe stellen, gerichtlich ver-
urteilt worden. Die Bf wurden als Mitglieder einer religiösen Gruppierung in ihrer religiösen
Tracht (bestehend aus einem Turban, einer knielangen Hose und einer Tunika) auf ihrem Weg
durch die Stadt zu einer religiösen Zeremonie von der Polizei aufgegriffen.16 Der Unterschied zu
den oben genannten Fällen besteht darin, dass es sich in Ahmet Arslan ua um ein allgemeines
Verbot handelt, in der Öffentlichkeit religiöse Kleidungsstücke zu tragen. In jenen Fällen, in denen
der EGMR keine Verletzung der Religionsausübungsfreiheit feststellte, bezog sich das Verbot
jeweils auf einen speziellen Bereich wie Schule bzw Universität.
Ein weiterer Fall (Eweida), in dem der EGMR eine Verletzung annahm, betrifft eine Konstellation
des privaten Arbeitsrechts. Eine Angestellte einer Fluggesellschaft hatte sich beschwert, dass es
ihr während der Arbeit verwehrt sei, ein kleines Kreuz an einer Halskette zu tragen.17 Eweida
weicht in wesentlichen Punkten von den oben genannten Entscheidungen ab. Ein Unterschied
liegt in der Größe und Wirkung des religiösen Symbols. Während der EGMR das Kopftuch als
starkes äußeres Symbol bezeichnete,18 erkannte er im kleinen („discrete“) Kreuz an einer Halsket-
te keine nennenswerte negative Beeinflussung. Das schützenswerte Ziel sei die Wahrung eines
gewissen Erscheinungsbilds des Unternehmens, so der Gerichtshof.19 Ein weiterer Unterschied
besteht in der Tatsache, dass es sich um ein privatrechtliches Arbeitsverhältnis handelte und der
EGMR insofern die Verletzung einer Gewährleistungspflicht feststellte.20
Nach der bisherigen Rechtsprechung stellte somit das Verbot des Tragens religiöser Kleidung
und Symbole dann keinen ungerechtfertigten Eingriff in das Recht auf freie Religionsausübung
dar, wenn das Verbot im Rahmen eines speziellen Bereichs wie Schule oder Universität bzw im
Zusammenhang mit Maßnahmen zur Identitätsfeststellung galt. Der EGMR begründete dies un-
ter anderem unter Verweis auf die legitimen Ziele des Schutzes der öffentlichen Sicherheit und
Ordnung sowie des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer. Ferner verwies er auch auf das
Prinzip des Laizismus, des Pluralismus sowie der Gleichheit der Geschlechter vor dem Gesetz.21
15 EGMR 11. 6. 2007, 24479/07, Mann Singh, bzw EGMR 3. 5. 1993, 16278/90, Karaduman (Verpflichtung, ein Passfoto
entsprechend den Vorschriften der Universität einzureichen, um das Diplom zu erhalten; hier lehnte der EGMR
bereits das Vorliegen eines Eingriffs ab).
16 EGMR 23. 2. 2010, 41135/98, Ahmet Arslan ua.
17 EGMR 15. 1. 2013, 48420/10, Eweida ua.
18 EGMR 15. 2. 2001, 42393/98, Dahlab; vgl dazu Sahlfeld, Aspekte der Religionsfreiheit (2004) 363; Ulrich, Die Kopftuch-
Entscheidungen des EGMR und deren Implikationen für das österreichische Bildungssystem aus der Genderper-
spektive, in FS Brünner (2007) 633 (633 ff); Tafner, Das islamische Kopftuch: Brennpunkt des verschleierten Kampfes
um die europäische Identität. Eine europapädagogische Kurzbetrachtung, öarr 2010, 98 (98 ff).
19 EGMR 15. 1. 2013, 48420/10, Eweida ua Rn 94; siehe dazu Pabel, Das Grundrecht der Religionsfreiheit im Arbeits-
recht in der Rechtsprechung des EGMR, in FS Brünner (2014) 604 (604 ff).
20 Vgl dazu Pabel in FS Brünner 612 ff; für den EGMR stellt sich der Sachverhalt im Fall Ahmet Arslan ua als dem
Sachverhalt in S.A.S. am ähnlichsten dar; siehe dazu EGMR 1. 7. 2014 (GK), 43835/11, S.A.S./Frankreich Rn 136.
21 So etwa in EGMR 10. 11. 2005 (GK), 44774/98, Leyla Şahin Rn 99, 116.
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Austrian Law Journal
Band 1/2015
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2015
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 188
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal