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ALJ 1/2016 Matthias Zußner 55
A. Grundlagen
Allein aus dem Umstand, dass nach dem Einleitungshalbsatz des Art 130 Abs 3 B-VG die An-
wendung des § 7 StWG sowie der korrespondierenden Bewilligungstatbestände der Starkstrom-
wegeG der Länder nicht stets der sog „vollen Ermessenskontrolle“ durch die VwG erster Instanz
unterliegt, lässt sich eine Einschränkung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte freilich
noch nicht ableiten. Zwar belassen die betreffenden Bewilligungstatbestände der jeweils zu-
ständigen Starkstromwegerechtsbehörde zweifellos einen Spielraum, der ihr regelmäßig wohl
auch nach Anwendung aller Interpretationsmethoden einschließlich der verfassungskonformen
Interpretation zwei oder mehrere Arten des Vollzuges ermöglicht, die jeweils für sich allein
betrachtet (noch) mit dem Gesetz in Einklang stehen.98 Mit Blick auf die Funktion der Verwal-
tungsgerichtsbarkeit im Gefüge der Staatsgewalten haben weite Teile der Lehre99 den Bestim-
mungen über eine sondergerichtliche Kontrolle der Verwaltung im Siebenten Hauptstück der
Bundesverfassung aber schon lange vor Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle
2012 in überzeugender Weise entnommen, dass die partielle Selbstdeterminierung der Behörde
nicht stets in vollem Umfang vor verwaltungsgerichtlicher Beanstandung geschützt sein kann.
Denn, wenn dem so wäre, könnte die (nunmehr zweistufige) Verwaltungsgerichtsbarkeit ja
„praktisch [überhaupt] keine Überprüfung der inhaltlichen Rechtmäßigkeit der Rechtsanwen-
dung vornehmen […] und ihre eigentliche Aufgabe, der Entscheidung strittiger Rechtsfragen
[…] nicht nachkommen“.100 Obgleich Art 130 Abs 3 B-VG also auf einem rechtstheoretischen
Fundament aufbaut,101 markieren rechtstheoretisch relevante Kriterien nur die äußersten
Grenzen eines allfälligen Ermessens iSd Art 130 Abs 3 B-VG, sagen aber noch nichts über die
(partielle) Kontrollfestigkeit einer allfälligen – falls fehlerfreien – Selbstprogrammierung der
Verwaltung im Rahmen der fortschreitenden Rechtskonkretisierung.102 Die Frage ob und beja-
hendenfalls inwieweit die Behörde im starkstromwegerechtlichen Bau- und Beriebsbewilli-
gungsverfahren über beanstandungsresistentes Ermessen verfügt, ist also mit der Identifikati-
on von Entscheidungsspielräumen der Behörde im Rahmen der Rechtsanwendung noch lange
nicht beantwortet, sondern gerade erst gestellt.
98 Anhand der Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung nach der rechtlichen Bedingtheit lässt sich nachweisen,
dass das Gesetz die Behörde selbst im Fall einer Geltung des denkbar strengsten Legalitätsprinzips gar nicht
nach allen Seiten vorherbestimmen könnte, weshalb die partielle Selbstprogrammierung auch auf allen Stufen
der Rechtskonkretisierung präsent bleibt. Siehe dazu nur Grabenwarter in Korinek/Holoubek (Hrsg), Österreichi-
sches Bundesverfassungsrecht (4. Lfg 2001) Art 130 Abs 2 B-VG Rz 4 mwN.
99 Dazu stellvertretend Grabenwarter, Verfahrensgarantien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit (1997) 324 mwN.
100 Zitat nach Grabenwarter, Verfahrensgarantien 324. Siehe außerdem Rill, Ermessensprüfung/Beurteilungsspielraum/
Kontrolle von Prüfungsentscheidungen, in GS Geck (1990) 115 (122); Potacs, Devisenbewirtschaftung. Eine ver-
fassungs- und verwaltungsrechtliche Untersuchung unter Berücksichtigung des Völker- und Europarechts (1991)
155.
101 Stellvertretend Potacs, Devisenbewirtschaftung 151.
102 Vgl Rill in GS Geck 122 in Bezug auf Art 130 Abs 2 B-VG aF; Hofer-Zeni, Das Ermessen im Spannungsfeld von
Rechtsanwendung und Kontrolle (1981) 114 f, 123 f; Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht3 (1996) 266 f;
Thienel, Strukturfragen des Staatsbürgerschaftsrechts, in GS Ringhofer (1995) 165 (168 f); Potacs, Devisenbewirt-
schaftung 155 f; Fuchs, Verwaltungsermessen und Verwaltungsgerichtsbarkeit: Rückblick und Ausblick, in Ho-
loubek/Lang (Hrsg), Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesfinanzgericht (2014) 231
(264 [arg „spezifisch eingeräumte ‚Zuständigkeit‘ zur – eigenverantwortlichen – Entscheidung innerhalb dieser
Spielräume“]).
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Austrian Law Journal
Band 1/2016
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2016
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 110
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal