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ALJ 1/2017 Reinhard Jantscher 10
Lehre und Rsp enthalten Anhaltspunkte für die Auffassung, dass die Sicherheitsbehörden in be-
stimmten Fällen im Namen der Staatsanwaltschaft (als Hilfsorgane derselben) einschreiten: Nach
der in Kap I. wiedergegebenen hM sind Akte der Kriminalpolizei, die aufgrund einer Anordnung
der Staatsanwaltschaft gesetzt werden, der Justiz zuzurechnen; der Rechtsschutz dagegen soll
sich auch nach der Teilaufhebung des § 106 Abs 1 StPO nach dieser Bestimmung richten. Eine
Begründung für diese Ansicht fehlt. Die Ansicht wirft einerseits die Frage auf, warum die Akte der
Kriminalpolizei – deren Organe grundsätzlich zur Staatsgewalt Verwaltung gehören – der Justiz
zuzurechnen sein sollen. Andererseits ist fraglich, warum der Rechtsschutz des § 106 Abs 1 StPO
offenstehen soll, obwohl dort die Wendung „Kriminalpolizei oder“ aufgehoben wurde und nur
mehr die Staatsanwaltschaft als mögliche Urheberin von Akten, gegen die Einspruch erhoben
werden kann, genannt ist.
Die hM erscheint nachvollziehbar, wenn man ihr die Überlegung unterstellt,35 wonach die Sicher-
heitsbehörde selbst zum Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft wird, wenn sie eine Anordnung der
Staatsanwaltschaft ausführt. Nach dieser Ansicht würde eine Zurechnungskette vom Sicherheits-
organ, das einen Akt setzt, zur Sicherheitsbehörde (die ihre Behördenstellung einbüßt und zum
Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft wird) und von dieser weiter zur Staatsanwaltschaft verlaufen.
Der auf Anordnung der Staatsanwaltschaft durch die Kriminalpolizei gesetzte Akt würde damit als
Akt der Staatsanwaltschaft, und da diese zur Staatsgewalt Justiz zählt, als Justizakt gelten. Die
weiteren Schlüsse wären zwingend: Aufgrund der Zurechnung zur Staatsanwaltschaft wäre einer-
seits der Rechtsschutz des § 106 Abs 1 StPO eröffnet, andererseits aufgrund der Zurechnung zur
Staatsgewalt Justiz die Maßnahmenbeschwerde ausgeschlossen.
Dafür, dass die Sicherheitsbehörde ihre Behördenstellung einbüßt, wenn sie eine Anordnung der
Staatsanwaltschaft ausführt, ergeben sich allerdings in der StPO keine Anhaltspunkte. Statt aus
dem konkreten Gesetz könnte sich dies auch aus einem allgemeinen verwaltungsrechtlichen
Prinzip ergeben, das lautet: Ein Akt ist dem Organ als Behörde zuzurechnen, dass den Willen zur
Setzung des Aktes gebildet hat. Ein solches Prinzip existiert allerdings nicht: Welches Organ in
einer Angelegenheit Behörde ist (in wessen Namen ein Staatsakt zu setzen ist), ist im Gesetz fest-
zulegen.36 Dabei existiert auch kein verfassungsrechtliches Gebot, das Organ, das den Willen zu
einem Akt bildet, zur Behörde in der Angelegenheit zu erklären. Aufgrund der umfassenden Wei-
sungsbindung (Art 20 Abs 1 B-VG) kann es in den meisten Angelegenheiten vorkommen, dass
eine höhere Behörde Akte von niederen Behörden determiniert. In – soweit ersichtlich – keinem
Fall wurde vertreten, dass eine Weisung dazu führt, dass der der Weisung entsprechende Akt als
im Namen der höheren, im Einzelfall die Weisung erteilenden Behörde gesetzt gilt. Umgekehrt
können insb Sicherheitsorgane den Willen zu zahlreichen Akten selbstständig bilden (vgl die in
§§ 32 ff SPG aufgezählten Befugnisse), ohne dass sie deswegen als Behörden angesehen werden.
Die Auslegung der StPO und allgemeine verwaltungsrechtliche Überlegungen führen damit zum
Ergebnis, dass die Sicherheitsbehörde nicht als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft einschreitet,
wenn sie Anordnungen der Staatsanwaltschaft ausführt, sondern dass sie Zurechnungsendpunkt
der von ihr bzw den ihr unterstellten Sicherheitsorganen gesetzten Akte bleibt.
35 Einzig Wiederin in Fuchs/Ratz, WK-StPO (Stand 1.2.2012, rdb.at) § 4 StPO Rz 52 nimmt eine Zurechnung von auf
einer staatsanwaltlichen Anordnung beruhenden Akten der Kriminalpolizei nicht nur zur Staatsgewalt Justiz,
sondern ausdrücklich auch zur Behörde Staatsanwaltschaft an.
36 B. Raschauer, Verwaltungsrecht4 Rz 138.
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Austrian Law Journal
Band 1/2017
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2017
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 56
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal