Seite - 71 - in Austrian Law Journal, Band 1/2019
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ALJ 2019 Die Aussetzung (§ 334 StPO) 71
Nichtvornahme der Aussetzung ist nach hM kein Nichtigkeitsgrund)65 an sich noch für den nach
dieser Deutung pflichtwidrig agierenden Berufsrichter nach sich zieht, ein Ergebnis, das – entgegen
der hM – eher für eine Ermessensentscheidung des Berufsrichters als eine Verpflichtung desselben
spricht. Es mutet insofern doch paradox an, weshalb eine (nach herrschendem Verständnis) derart
gravierende Pflichtverletzung wie das Bestehen-Lassen eines „Fehlurteils“ zu keinerlei nachteiligen
Folgen führen sollte. Nach zutreffendem Verständnis statuiert § 334 StPO für das jeweilige Mitglied
des Schwurgerichtshofs hingegen keine Verpflichtung zur Aussetzung, sondern lässt jenes nach
dessen Ermessen entscheiden: Sofern es sich bei der Entscheidung der Geschworenen um eine
auf Basis der durchgeführten Hauptverhandlung nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung
in tatsächlich und rechtlicher (auf Basis der vom Vorsitzenden erteilten Rechtmittelbelehrung) Hin-
sicht vertretbare Entscheidung handelt, es selbst jedoch (auf Grund eigener freier Beweiswürdi-
gung) anders entschieden hätte, liegt es – wenn überhaupt – in dessen Ermessen, ob er die ge-
nannte Entscheidung der Geschworenen, eingedenk ihrer verfassungsrechtlich eingeräumten
Kompetenz, über die Schuld alleine zu entscheiden,66 akzeptiert, oder für eine Aussetzung der Ent-
scheidung votiert. Eine Verpflichtung, für eine solche stimmen zu müssen, besteht hingegen nicht
und wird durch keinerlei Argumente (weder solche des Wortlauts der Norm noch teleologischer
Natur) untermauert, sondern allein durch bzw auf die Wiedergabe einer begründungslosen An-
sicht gestützt.67
D. Zur Begründungslosigkeit der Aussetzungsentscheidung (§§ 334 Abs 1 iVm
§ 341 StPO)
Die Begründung einer Entscheidung besitzt dem Grunde nach zwei bedeutende Funktionen: Einer-
seits die Auseinandersetzung des Entscheiders mit dem Beweisstoff und den Verfahrensergebnis-
sen in der Sache selbst; andererseits eröffnet sie eine Überprüfungsmöglichkeit der Entscheidung
durch eine übergeordnete Instanz.68 Unzweifelhaft wird die Nichtbegründetheit der geschwore-
nengerichtlichen Entscheidung69 (des Wahrspruchs bzw genauer: des auf dem Wahrspruch basie-
renden Urteils) an sich – wenngleich seitens des VfGH und OGH die Ansicht geäußert wird, ein
Wahrspruch der Geschworenen enthalte (durch die mehr oder minder detaillierten Fragen) alle
65 OGH 14. 2. 1955, 5 Os 1376/54; OGH 14. 12. 1995, 15 Os 101/95; siehe ferner Venier in Bertel/Venier, Strafprozess-
ordnung § 334 Rn 3 mN; Burgstaller in Burgstaller/Schima/Császár, Aussetzung 33 mN in FN 86; Fabrizy, StPO13 §
334 Rn 2; Hinterhofer/Oshidari, System Rn 10.35; Mayerhofer/Hollaender, Strafprozessrecht5 § 334 Rn 5; Nimmer-
voll, Strafverfahren 590 mN in FN 1413; Philipp in WK-StPO § 334 Rn 11 mN; Sadoghi, JSt 2008, 80 uVa OGH 15 Os
101/95 in FN 17; dieselbe, ÖJZ 2018, 259; Seiler, Strafprozessrecht17 Rn 961.
66 Siehe Wittek, Für eine Laiengerichtsbarkeit in Österreich, in Soyer (Hrsg), Strafverteidigung – Neue Herausforde-
rungen (2006) 74 (75).
67 Siehe FN 60 und 61.
68 Prägnant Mertens, ecolex 2017, 313; vgl auch Huber, JAP 2010/2011, 136.
69 Allgemein nur Huber, JAP 2010/2011, 135, 136; Lewisch, JBl 2012, 496; Mertens, ecolex 2017, 314. Zur nicht statt-
haften Ersetzbarkeit der Begründung durch Bezugnahme auf die Niederschrift der Gründe, welche zur Entschei-
dung geführt haben (§ 331 Abs 3 StPO) sowie der diesbezüglichen Diskussion siehe nur VfGH 28. 6. 2017,
G 344/2016 Rn 23; Bertel/Venier, Strafprozessrecht11 Rn 406; Lachmann, Zur fehlenden Begründung im Urteil des
Geschworenengerichtes, AnwBl 1993, 645; Lewisch, Geschworenengerichte 13, 14 mN; derselbe, AnwBl 2010, 218
FN 9; Mertens, ecolex 2017, 313; Moos, JBl 2010, 75; Schroll in Soyer, Strafverteidigung 50; derselbe/Schillhammer,
Rechtsmittel in Strafsachen3 Rn 26; Seiler, Strafprozessrecht17 Rn. 950; für eine stärkere Einbindung der Nieder-
schrift iSe Begründung votierend Mühlbacher, ALJ 2015, 274 f.
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Austrian Law Journal
Band 1/2019
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2019
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 126
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal