Seite - 6 - in Austrian Law Journal, Band 1/2021
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ALJ 2021 S.-F. Kraus 6
Gesetzesverfasser § 46 ABGB gesehen haben, heute nicht mehr trägt.31 Historisch sei
§ 1311 ABGB nämlich so verstanden worden, dass bei Schädigung ohne Verschulden
derjenige den Schaden zu tragen hat, in dessen Person oder Vermögen die Ursache
entstanden ist.32 Hingegen verstehe man die Bestimmung heute dahin, dass bei zufälliger
Schädigung der Geschädigte den Schaden zu tragen hat. Nach Koziol sei kein Grund dafür
ersichtlich, gerade im Verlöbnisrecht vom heute herrschenden Verständnis des § 1311 ABGB
abzugehen. Vielmehr spreche der Umstand, dass das Verlöbnis eine schwache, weil
undurchsetzbare Verbindlichkeit begründet, dafür, mindestens keine schärfere Sanktion an
das Nichteinhalten des Verlöbnisses zu knüpfen, sondern vielmehr die Haftung geringer zu
halten als sonst.33
IV. Der zum Schadenersatz verpflichtende Umstand?
Prüft man angesichts dieses Meinungsstreits die Frage, ob die Haftung gemäß § 46 ABGB
Verschulden voraussetzt, ruft sich sogleich ein Grundsatz in Erinnerung. In Erinnerung ruft
sich, dass die Verschuldenshaftung nach der Dogmatik des ABGB grundsätzlich auf einer
Rechtswidrigkeit aufbaut.34 Das schlägt die Brücke zur Frage, worin denn eigentlich bei der
Haftung wegen Rücktrittes vom Verlöbnis der Umstand liegt, der zum Schadenersatz
verpflichtet.
A. Enttäuschung des Vertrauens
Prima vista mag es sich aufdrängen, den Umstand, der zum Schadenersatz verpflichtet, an
der Enttäuschung des Vertrauens in dem Sinn des (grundlosen) Rücktrittes vom Verlöbnis
bzw des Abstehens von der Eheschließung festzumachen.35 Den Umstand, der zum Ersatz
verpflichtet, daran festzumachen, dass die Eheschließung (ohne gegründete Ursache) –
vereinfacht gesagt – scheitert, spießt sich jedoch mit der anerkannten36 Eheabschlussfreiheit
31 Gegen die Problemrelevanz des behaupteten Wandels der Bedeutung von § 1311 ABGB Schwimann/Ferrari (in
Schwimann/Kodek, ABGB I4 § 46 Rz 5; Ferrari in Schwimann/Kodek, ABGB I5 § 46 Rz 5), die sich aber iE aus rechtspolitischen
Gründen für eine Verschuldenshaftung aussprechen.
32 Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang allerdings darauf, dass die von Zeiller (ABGB III/2 S. 737) zu § 1311 ABGB
geäußerte Ansicht einer verschuldensunabhängigen Haftung für „Personenmängel“ wohl nicht von den übrigen Redaktoren
mitgetragen wurde (vgl ausf dazu mwN Karollus, Funktion und Dogmatik der Haftung aus Schutzgesetzverletzung [1992] 7).
Wenn es richtig ist, dass die Redaktoren § 1311 S 1 ABGB lediglich als negative Aussage verstanden haben, so deckt sich
dies mit seiner heutigen Interpretation. Das schließt es aus, dass sich das Verständnis von § 1311 ABGB gewandelt hat, was
eine Berufung auf ein gegenteiliges Verständnis zu § 46 ABGB kontraindizieren soll.
33 Dagegen wendet Schwind (Eherecht² § 46 ABGB Rz 2.1.3.; zust Oberhofer, ÖJZ 1994, 433 [436]) ein, ob es nicht doch
gerechtfertigt ist, zu sagen: Gerade weil kein Zwang zur Erfüllung des Verlöbnisses besteht, wird das Vertrauen der Verlobten
wenigstens dadurch in höherem Maß geschützt, dass sie aus diesem auch bei Schuldlosigkeit des anderen keinen
materiellen Schaden erleiden.
34 Statt aller nur F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1996) 189.
35 In diese Richtung klingen zunächst die Ausführungen Ostheims (Zur Haftung für culpa in contrahendo bei grundloser
Ablehnung des Vertragsabschlusses, JBl 1980, 522 [1. Teil], 570 [578; 2. Teil]). Denn Ostheim formuliert, dass der
„Haftungsgrund […] in der grundlosen Enttäuschung des in das Eheversprechen gesetzten Vertrauens des Partners auf das
sichere Zustandekommen der Ehe“ liegt. Letztendlich dürfte jedoch die Ansicht Ostheims der Sache nach nicht allzu fern
von dem Standpunkt liegen, der hier vertreten wird (s sogleich im Text; s auch in Fn 37 und außerdem Schwind in
Ehrenzweig, Privatrecht³ 14: „An den Rücktritt knüpft § 46 ABGB eine Ersatzpflicht.“). Es dürfte letztlich nur ein Unterschied
der Formulierung vorliegen. Stärker deutet in diese Richtung eine Feststellung von Lukas (Abbruch von
Vertragsverhandlungen, JBl 2009, 751 [1. Teil], 2010, 23 [34 in Fn 153; 2. Teil]). Denn nach Lukas zeige § 46 ABGB immerhin,
„dass eine Haftung für den Vertrauensschaden auch dann in Betracht kommen kann, wenn die Pflichtwidrigkeit im
Nichtabschluss eines Vertrages besteht.“
36 Anerkanntermaßen (zB Ferrari in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar I5 [2018] § 45 Rz 4; Koch in
Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger, ABGB6 [2020] § 45 Rz 3; Hopf/Kathrein, Eherecht³ § 45 ABGB Rz 4; Smutny in
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Austrian Law Journal
Band 1/2021
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2021
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 59
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal