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ALJ 2/2015 Andreas Geroldinger 205
A. UrsprĂŒnge und Import
Das deutschsprachige Schrifttum datiert die Geburtsstunde des âblue pencil testâ bzw der âblue
pencil ruleâ, sofern ĂŒberhaupt darauf eingegangen wird, wiederholt mit der Entscheidung Mallan
versus May aus dem Jahr 1843.55 Ein englisches Gericht hatte ĂŒber die Wirksamkeit einer Konkur-
renzklausel zu befinden, die die TĂ€tigkeit als Zahnarzt (dentist-surgeon) in London sowie in weiteren
StÀdten Englands und Schottlands untersagte.56 Anstatt diese Vereinbarung einem Ganz-oder-
gar-nicht-Verdikt zu unterwerfen, wurde die Bestimmung im Hinblick auf London aufrecht erhal-
ten, bezĂŒglich der anderen StĂ€dte jedoch fĂŒr unwirksam erklĂ€rt.
Dabei berief sich der Richter57 freilich auf die Rechtssache Chesman versus Nainby, die letztin-
stanzlich schon im Jahr 1727 entschieden worden war und einen Àhnlichen Sachverhalt betroffen
hatte58: Der Verpflichteten der Konkurrenzklausel war der Textilhandel innerhalb einer halben
Meile des aktuellen Wohnhauses der Berechtigten oder jedes anderen Hauses untersagt, in
das die Berechtigte oder bestimmte andere Personen umziehen könnten.59 Der zweite Teil
dieser Regelung hÀtte ein vollstÀndiges und damit (nach bereits etablierter Rsp)60 unzulÀssiges
Konkurrenzverbot bedeutet. Die Verpflichtete hatte schon gegen den ersten Teil der Klausel
verstoĂen. Diesen hat das Gericht ungeachtet des ĂŒberschieĂenden zweiten Teils fĂŒr wirksam
erklÀrt.
Was spĂ€ter â wohl erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts61 â als âblue pencil ruleâ bekannt wurde,
ist damit bedeutend Àlter als vielfach angenommen. Dieser Name beschreibt das charakteristische
Durchstreichen von unzulÀssigen Textpassagen mit einem blauen Stift, wie ihn Lektoren und
Zensoren in England und den USA typischerweise nutzten.62 Im deutschen Sprachraum hÀtte sich
womöglich die Bezeichnung âRotstift-Testâ durchgesetzt.63
55 ThĂŒsing, BB 2006, 662; Uffmann, Verbot 158 (unter Berufung auf Farnsworth, Contracts II2 [1990] 72); vgl auch
Murray, Contracts â cases and materials6 (2006) 496.
56 Exchequer of Pleas (B. Parke) 5. 6. 1843, Mallan and another versus May, 11 M. & W. (Meeson & Welsbyâs Ex-
chequer Reports) 653 (669); abrufbar unter http://commonlii.org/uk/cases/EngR/1843/ (31. 5. 2015).
57 â[âŠ] the stipulation as to not practising in London is valid, and is not affected by the illegality of the other part.
That point was decided in Chesman v. Nainby, [âŠ].â Zitiert nach 11 M. & W 669 (Hervorhebungen im Original).
58 Parliament 22. 2. 1727, David Chesman and Elizabeth his Wife versus Margery Nainby, 2 Ld Raym (Lord Raymondâs
Kingâs Bench Report) 1456 = 1 Bro. P.C. (Brownâs Parliamentary Cases) 234 = 2 Stra (Strangeâs Kingâs Bench Reports)
739; abrufbar unter http://commonlii.org/uk/cases/EngR/1727/ (31. 5. 2015).
59 â[âŠ] that [Elisabeth Vickers] shall not nor will, at any time after she shall have left the service of her the said
Margery [Nainby], set up or exercise the said trade or mystery of a linen draper, either by herself or by any other
person or persons in trust for her, or for her use, either directly or indirectly, in any shop, room, or place, within
the space of half a mile of the now dwelling-house of the said Margery Nainby, situate in Drury-lane, or of any
other house that she the said Margery Nainby, her executors or administrators, shall think proper to remove to,
in order to carry on the said trade of linen draper.â Zitiert nach 1 Bro. P.C. 234 (eigene Hervorhebungen).
60 Siehe dazu American Bar Association, The Rule of Reason (1999) 24 ff mit zahlreichen Nachweisen; ferner die
Entscheidung Mitchel versus Reynolds aus 1711 (24 E.R. [English Reports] 347; aus dem Abdruck gehen weder ein
genaues Datum noch die exakte Bezeichnung des Gerichts hervor); abrufbar unter http://commonlii.org/uk/
cases/EngR/1711/ (31. 5. 2015).
61 Siehe insb High Court (Kingâs Bench Division) 12. 2. 1920, Attwood versus Lamont, 2 K.B. (Law Reports, Kingâs Bench)
146 (149, 155); das Ergebnis allerdings ablehnend Court of Appeal 30. 7. 1920, Attwood versus Lamont, 3 K.B.
571.
62 Siehe nur Barzun, Behind the Blue Pencil. Censorship or Creeping Creativity? American Scholar 1985, 28; Reitz,
Dictionary for Library and Information Science (2004) 83.
63 Vgl Kellner, Rechtsbegriff 229; Leitner, Transparenzgebot 69; Nicholls, Criminal Rate of Interest and Notional
Severance, BFLR-CAN (Banking & Finance Law Review) 18 (2002/2003) 285 (Fn 7 unter Hinweis auf Waldron, The
Law of Interest in Canada [1992] 202).
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Austrian Law Journal
Band 2/2015
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2015
- Autor
- Karl-Franzens-UniversitÀt Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 100
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal