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ALJ 2/2015 Klauselbegriff und âblue pencil testâ in der AGB-Rechtsprechung 208
schlĂŒsse zugunsten nur eines Vertragsteiles fĂŒr 1) leichte, 2) grobe und 3) krass grobe FahrlĂ€ssig-
keit bei SachschĂ€den.81 Genauso gut lieĂe sich fĂŒr jeden Verschuldensgrad, fĂŒr die Begrenzungen
auf eine Vertragsseite und auf SachschÀden jeweils ein eigenstÀndiger Satz formulieren.82 Nun
besteht kein Zweifel, dass âeine Klauselâ wie diese in einem Verbrauchervertrag in mehrfacher
Hinsicht gesetzeswidrig wĂ€re. Sie verstöĂt hinsichtlich der groben und krass groben FahrlĂ€ssig-
keit gegen § 6 Abs 1 Z 9 KSchG und steht jedenfalls hinsichtlich der krass groben FahrlÀssigkeit in
Konflikt mit § 879 Abs 1 ABGB.83 Allenfalls könnte die Regelung wegen ihrer Einseitigkeit zugunsten
des Klauselverwenders insgesamt gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB sein.84 Diese
Defizite lassen sich jedoch durch simples Streichen weniger Wörter beheben, womit ein unbe-
denklicher beidseitiger Haftungsausschluss fĂŒr leichte FahrlĂ€ssigkeit bei SachschĂ€den ĂŒbrig bliebe:
âDie Haftung des [AGB-Verwenders] fĂŒr SachschĂ€den ist bei leichter, grober und krass grober
FahrlĂ€ssigkeit ausgeschlossen.â Ist die geltungserhaltende Reduktion einer Klausel unzulĂ€ssig,
setzt diese Vorgehensweise voraus, dass es sich dabei um mehrere eigenstÀndige Klauseln handelt,
von denen einzelne fĂŒr nichtig erklĂ€rt werden können.
Dem Ausgangsbeispiel inhaltlich gleichwertig erscheint folgende Regelung: âDer [AGB-Verwender]
haftet bei SachschĂ€den nur fĂŒr krass grobe FahrlĂ€ssigkeit und Vorsatz.â Dieser Satz wĂ€re in einem
Verbrauchervertrag aus denselben GrĂŒnden zu beanstanden wie der vorige. Die Streichoperation
des âblue pencil testâ ist aber nur teilweise erfolgreich: âDer [AGB-Verwender] haftet bei Sach-
schĂ€den nur fĂŒr krass grobe FahrlĂ€ssigkeit und Vorsatz.â Sollte die Einseitigkeit im Lichte des § 879
Abs 3 ABGB problematisch sein, ist dieser Satz mithilfe des âblue pencil testâ wohl nicht zu retten;
schlieĂlich kĂ€me dem aktiv formulierten Satz das Subjekt abhanden. Doch auch die Streichung
des Wortes âkrassâ erscheint bedenklich; vom vorherigen Beispiel unterscheidet es sich dadurch,
dass nicht aus einer Liste von grammatisch gleichwertigen TatbestÀnden gestrichen, sondern
eine Qualifikation entfernt wird, die auf den verbleibenden Teil (âgrob fahrlĂ€ssigâ) bezogen ist.
Ohne die Option einer geltungserhaltenden Reduktion muss hier Farbe bekannt werden: Ist
schon das Wort âkrassâ eine eigene Klausel?
Vollends versagt der âblue pencil testâ bei folgender Formulierung eines inhaltlich gleichgelager-
ten Haftungsausschlusses: âDie Haftung des [AGB-Verwenders] fĂŒr SachschĂ€den ist bei FahrlĂ€s-
sigkeit ausgeschlossenâ oder â[âŠ] ist bei grober FahrlĂ€ssigkeit ausgeschlossenâ.85 Mit bloĂem
Streichen lĂ€sst sich hier keine zulĂ€ssige Klausel âzimmernâ, der Haftungsausschluss muss zur
GĂ€nze entfallen.
Mit dem âblue pencil testâ lassen sich auĂerdem missbrĂ€uchliche negative Formulierungen durch
Streichung des Wortes ânichtâ in ihr Gegenteil verkehren. Zum Teil folgt daraus auch eine Reduk-
tion auf das gesetzlich noch ZulĂ€ssige. âDer [AGB-Verwender] haftet nicht fĂŒr grobe FahrlĂ€ssigkeit
81 FĂŒr die UnzulĂ€ssigkeit einer derartigen Klauselgestaltung vor dem Hintergrund des Verbots der geltungserhal-
tenden Reduktion etwa Fitz in FS Schnorr 652; H. Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht11 § 306 Rz 13; aA
Schlosser in Staudinger, BGB (2013) § 306 Rz 20 (âStrategische Aufspaltung von Texten wie âHaftungsausschluss
bei leicht oder grob fahrlĂ€ssigem Verhaltenâ sind zielfĂŒhrendâ).
82 Vgl auch das Beispiel bei Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil9 § 43 Rz 84 (Terminsverlust, wenn Schuldner mit zwei
Raten âganz oder teilweise in Verzugâ gerĂ€t).
83 Siehe (anstelle vieler) OGH 3 Ob 196/13i JBl 2014, 641; vgl auch G. Graf in KleteÄka/Schauer (Hrsg), ABGB-ON1.01
§ 879 Rz 303 ff.
84 Zur âgröblichen Benachteiligungâ im Vergleich zur Rechtsposition des anderen Vertragsteils siehe (anstelle vieler)
RIS-Justiz RS0014676 (insb T4, T32); Koziol/Welser/KleteÄka, BĂŒrgerliches Recht I14 Rz 436; Krejci in Rummel/Lukas,
ABGB4 § 879 Rz 378, je mwN.
85 Vgl ThĂŒsing, BB 2006, 662 unter Berufung auf Larenz.
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Austrian Law Journal
Band 2/2015
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2015
- Autor
- Karl-Franzens-UniversitÀt Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 100
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal