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ALJ 2/2015 Die Rule of Law im Völker- und im Europarecht â aktuelle Probleme 264
C. Gerichtsbarkeit
Die EU ist eine âUnion des Rechtsschutzesâ. Die Handlungen der Unionsorgane sind unmittelbar
durch Direktklagen beim EuGH gemÀà Art 263 AEUV oder mittelbar durch Vorabentscheidungs-
ersuchen nationaler Gerichte an den EuGH gemÀà Art 267 AEUV auf ihre RechtmĂ€Ăigkeit, die
Einhaltung der GrundsĂ€tze des Unionsrechts sowie die GrundrechtskonformitĂ€t ĂŒberprĂŒfbar. FĂŒr
schuldhaft versursachte SchÀden durch die mangel- oder fehlerhafte Umsetzung und Anwen-
dung des Unionsrechts sind die EU und ihre Mitgliedstaaten den betroffenen natĂŒrlichen Personen
oder Unternehmen gegenĂŒber haftbar. Auch dies ist ein originĂ€res Ergebnis der EuGH-Recht-
sprechung. Meinungsverschiedenheiten zwischen den Unionsorganen, sogenannte Interorgan-
streitigkeiten, werden rechtlich beim EuGH in seiner Rolle als âVerfassungsgerichtshof â kanali-
siert. Und doch gibt es auch im Bereich der Unionsgerichtsbarkeit gegenwÀrtig UnzulÀnglichkeiten
des inneren Aufbaus und der Funktionsweise, welche gerade vor dem Hintergrund der bereits
erwĂ€hnten Rechtsstaatlichkeit und des EMRK-Beitritts einer dringenden Lösung bedĂŒrfen.
Einerseits betrifft das in Bezug auf das Gericht (EuG), welches sozusagen das âVerwaltungsge-
richtâ der EuropĂ€ischen Union darstellt, die wachsenden Zahlen von unerledigten FĂ€llen insge-
samt und die vor allem bei Beihilfen- und WettbewerbsfĂ€llen ansteigende, ĂŒberlange Verfahrens-
dauer. Ein solcher Zustand ist sowohl grundrechtlich bedenklich als auch wirtschaftlich fĂŒr die
Rechtsschutz suchenden Unternehmen und die gesamte Volkswirtschaft schÀdlich. Andererseits
gilt das fĂŒr das Gericht fĂŒr den öffentlichen Dienst der EU, dem bisher ersten und einzigen auf ein
bestimmtes Rechtsgebiet spezialisierten sogenannten âFachgerichtâ gemÀà Art 257 AEUV, im Hin-
blick auf das bisherige Scheitern der Nachbesetzung von zwei der insgesamt nur sieben Richter-
stellen, obwohl mehrere Ratsvorsitze schon entsprechende KompromissvorschlÀge unterbreitet
haben. Eine lÀngere Zeit wÀhrende Absenz von mehr als einem Viertel der Richter beeinflusst
dort natĂŒrlich die Bildung voll funktionsfĂ€higer Kammern und auch die FĂ€higkeit des Gerichts zur
BewÀltigung der anfallenden Rechtssachen negativ.
Mit dem Ziel der Erhöhung der KapazitÀten und der FlexibilitÀt bei der internen Arbeitsverteilung
am EuG wurde daher bereits am 28. MÀrz 2011 vom EuGH vorgeschlagen, dort 12 zusÀtzliche
Richterstellen zu schaffen.12 Im Rat, der diese MaĂnahme gemeinsam mit dem EuropĂ€ischen
Parlament in Form einer Verordnung zur Ănderung der Satzung des Gerichtshofs treffen muss,
regte sich nicht nur Widerstand gegen die vorgeschlagene hohe Zahl angesichts der dadurch
verursachten zusÀtzlichen Kosten (man wÀre lediglich bereit gewesen, neun zusÀtzliche Stellen zu
schaffen). Es konnte auch keine Einigung darĂŒber gefunden werden, wie die begrenzte Zahl an
zusÀtzlichen Stellen unter den Mitgliedstaaten zu verteilen wÀre, wobei die GrundsÀtze der
Gleichbehandlung, der geografischen Ausgewogenheit und der BerĂŒcksichtigung der verschie-
denen Rechtssysteme eingehalten werden mĂŒssten. AuĂer Zweifel stehen allerdings die Siche-
rung der KontinuitÀt der Arbeit des Gerichts und des hohen Sachverstands der Richterschaft, die
durch die einer Ernennung vorangehende BestÀtigung der Eignung durch den sogenannten
âAuswahlausschussâ gemÀà Art 255 AEUV gewĂ€hrleistet wird.
Auch beim Dienstgericht bestehen Meinungsverschiedenheiten unter den Mitgliedstaaten ĂŒber
die Anwendung der soeben erwĂ€hnten GrundsĂ€tze auf die in regelmĂ€Ăigen AbstĂ€nden erfolgende
12 Vorschlag des Gerichtshofs der EuropÀischen Union 02074/2011 Verfahrensnummer 2011/0901B(COD), vgl.
Ratsdokument Nr 8787/11.
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Austrian Law Journal
Band 2/2015
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2015
- Autor
- Karl-Franzens-UniversitÀt Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 100
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal