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ALJ 2018 Das „Geburtshaus Hitlers“ in Braunau am Inn 72
„zweifelsohne im öffentlichen Interesse [liegen], wenn der Bund – auch vor dem Hintergrund des Art. 13
Abs. 2 B-VG – im Rahmen seiner Kompetenzen Maßnahmen ergreift, um ein Land vor einer insolvenz-
ähnlichen Situation zu bewahren.“30
Etwas spezifischer hielt der VfGH darüber hinaus fest, dass „[i]n der alpinen biogeographischen
Region – darunter fällt das gesamte Kärntner Landesgebiet – […] überdies ein besonderes öffentliches
Interesse am Schutz des Waldes vor Wildschäden“ besteht.31 Das bedeutete in diesem Fall, dass
dieses spezifische öffentliche Interesse den „Grundsatz einer flächendeckenden Jagdwirtschaft im
gesamten Kärntner Landesgebiet zugrunde liegt“32 und somit die Eigentumsbeschränkung in Form
der Jagd, die der betroffene Antragsteller aus ethischen Gründen ablehnte, von ebendiesem auf
seinem Grund geduldet werden müsse. Ebenso liegt das „Ziel der Erhaltung von leistungsfähigen
mittleren land- und forstwirtschaftlichen Betrieben und die Sicherstellung einer leistungsfähigen mittel-
ständigen landwirtschaftlichen Struktur“ im öffentlichen Interesse.
In einem weiteren Fall wurde keine Verletzung des Eigentumsrechts durch Festlegung des für die
Pflichtteilsberechnung maßgeblichen Übernahmepreises nach dem Kriterium des „Wohlbeste-
hen-Könnens“ des Anerben festgestellt.33 Außerdem hat der VfGH im Rahmen der möglichen
Verletzung des Erwerbsausübungsrechts sowie der Unversehrtheit des Eigentums durch das
Prostitutionsverbot bereits mehrfach ausgesprochen, dass „die Hintanhaltung von Belästigungen,
die mit der Anbahnung oder der Ausübung von Prostitution verbunden sind“ im öffentlichen Interesse
liegen.34 Im Rahmen der Freiheit der Erwerbsbetätigung sind „Abgabenerhebungen mit dem Ziel
einer gleichmäßigen Besteuerung“ bzw. die „Pflicht zur Verwendung eines elektronischen Aufzeich-
nungssystems bzw. einer Registrierkasse“ im öffentlichen Interesse.35 Ein weiteres lehrbuchhaftes
Beispiel wäre der Fall der Enteignung eines Grundstückes zur Verwirklichung eines Infrastruktur-
projektes, das im öffentlichen Interesse liegt. Eisenbahnstrecken und die Ermöglichung von Mobi-
lität für die Gesamtbevölkerung wären ein solch klassischer Fall. Bei all der Diversität der soeben
aufgezählten Rechtsprechung und der Qualifikation des öffentlichen Interesses, hebt sich der
vorliegende Fall in bemerkenswerter Weise von den bisherigen Fällen ab.
Im gegenständlichen Fall ist das öffentliche Interesse – im Vergleich zu der bisherigen Rechtspre-
chung – um einiges schwieriger festzustellen. Der Missbrauch des Geburtshauses von Adolf Hitler
durch unerwünschte Glorifikation nationalsozialistischen Gedankenguts soll hintangestellt wer-
den. Um das sicherzustellen, muss gemäß Vorschlag der „Kommission zum historisch korrekten
Umgang mit dem Geburtshaus Adolf Hitlers“ (Expertenkommission) die Aura des Hauses dekon-
struiert und entmystifiziert werden.36 Der VfGH ist allerdings in der Ausführung des öffentlichen
30 VfSlg 20.000/2015 Rz 315.
31 VfSlg 20.103/2016 Rz 55; vgl dazu auch bereits VfSlg 14.535 III.5.
32 VfSlg 20.103/2016 Rz 57.
33 VfSlg 20.032/2015 Rz 62 mwN auf VfSlg 2.452/1952; OGH 17. 10. 1985, 6 Ob 30/85; VfSlg 12.082/1989;
16.699/2002; 17.320/2004; 18.554/2008; 19.225/2010; 19.738/2013.
34 VfSlg 19.068/2010 III.3.2 mwN auf VfSlg 13.363/1993.
35 VfSlg 20.065/2016 Rz 79.
36 Vgl dazu die Fragestellung an die Kommission zum historisch korrekten Umgang mit dem Geburtshaus Adolf Hitlers
(Oktober 2016), welche weiteren Einblick in das öffentliche Interesse an dem Haus gewährleisten kann. Sie laute-
te wie folgt. „Wie ist mit dem Geburtshaus Adolf Hitlers in historisch korrekter Weise zu verfahren, so dass sichergestellt
werden kann, dass an diesem Ort bzw. in diesem Haus keine Pflege, Förderung oder Verbreitung nationalsozialistischen
Gedankenguts oder eines bejahenden Gedenkens an den Nationalsozialismus stattfindet und einer nationalsozialistisch
geprägten Vereinnahmung sowie einer Begünstigung der weiteren Assoziierung oder dauerhaft betonten Verbindung
mit der Person Hitlers entgegengewirkt wird?“
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Austrian Law Journal
Band 2/2018
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2018
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 94
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal