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Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Spannung, eine Unlebendigkeit im Leben selbst. Was sich damals unbewußt in manchen Augenblicken der Halberkenntnis in mir sehnsüchtig regte: es waren nicht eigentlich Wünsche, sondern nur der Wunsch nach Wünschen, das Verlangen, stärker, unbändiger, ehrgeiziger, unbefriedigter zu begehren, mehr zu leben und vielleicht auch zu leiden. Ich hatte aus meiner Existenz durch eine allzu vernünftige Technik alle Widerstände ausgeschaltet, und an diesem Fehlen der Widerstände erschlaffte meine Vitalität. Ich merkte, daß ich immer weniger, immer schwächer begehrte, daß eine Art Erstarrung in mein Gefühl gekommen war, daß ich – vielleicht ist es am besten so ausgedrückt – an einer seelischen Impotenz, einer Unfähigkeit zur leidenschaftlichen Besitznahme des Lebens litt. An kleinen Zeichen erkannte ich dieses Manko zuerst. Es fiel mir auf, daß ich im Theater und in der Gesellschaft bei gewissen sensationellen Veranstaltungen öfter und öfter fehlte, daß ich Bücher bestellte, die mir gerühmt worden waren und sie dann unaufgeschnitten wochenlang auf dem Schreibtisch liegen ließ, daß ich zwar mechanisch weiter meine Liebhabereien sammelte, Gläser und Antiken kaufte, ohne sie aber dann einzuordnen und mich eines seltenen und langgesuchten Stückes bei unvermutetem Erwerb sonderlich zu freuen. Wirklich bewußt aber wurde mir diese übergangshafte und leise Verminderung meiner seelischen Spannkraft erst bei einer bestimmten Gelegenheit, der ich mich noch deutlich entsinne. Ich war im Sommer – auch schon aus jener merkwürdigen Trägheit heraus, die von nichts Neuem sich lebhaft angelockt fühlte – in Wien geblieben, als ich plötzlich aus einem Kurorte den Brief einer Frau erhielt, mit der mich seit drei Jahren eine intime Beziehung verband und von der ich sogar aufrichtig meinte, daß ich sie liebe. Sie schrieb mir in vierzehn aufgeregten Seiten, sie habe in diesen Wochen dort einen Mann kennengelernt, der ihr viel, ja alles geworden sei, sie werde ihn im Herbst heiraten, und zwischen uns müsse jene Beziehung zu Ende sein. Sie denke ohne Reue, ja mit Glück an die mit mir gemeinsam verlebte Zeit zurück, der Gedanke an mich begleite sie in ihre neue Ehe als das Liebste ihres vergangenen Lebens, und sie hoffe, ich werde ihr den plötzlichen Entschluß verzeihen. Nach dieser sachlichen Mitteilung überbot sich der aufgeregte Brief dann in wirklich ergreifenden Beschwörungen, ich möge ihr nicht zürnen und nicht zuviel an dieser plötzlichen Absage leiden, ich solle keinen Versuch machen, sie gewaltsam zurückzuhalten oder eine Torheit gegen mich begehen. Immer hitziger jagten die Zeilen hin: ich solle doch bei einer Besseren Trost finden, ich solle ihr sofort schreiben, denn sie sei in Angst, wie ich diese Mitteilung aufnehmen würde. Und als Nachsatz, mit Bleistift, war dann noch eilig hingeschrieben: »Tue nichts Unvernünftiges, verstehe mich, verzeihe mir!« Ich las diesen Brief, zuerst überrascht von der Nachricht und dann, als ich ihn durchblättert, noch ein zweites Mal und nun 70
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Amok Novellen einer Leidenschaft
Titel
Amok
Untertitel
Novellen einer Leidenschaft
Autor
Stefan Zweig
Datum
1922
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
158
Kategorien
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