Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Weiteres
Belletristik
Amok - Novellen einer Leidenschaft
Seite - 78 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 78 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft

Bild der Seite - 78 -

Bild der Seite - 78 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft

Text der Seite - 78 -

gleichsam allen zu: sie sog Aufmerksamkeit, Lächeln, Anblick von jedem, der vorüberging und gleichsam von der ganzen Masse des Männlichen ringsum ein. Ihr Blick war ununterbrochen wanderhaft, bald suchte er die Tribünen entlang, um dann plötzlich, freudigen Erkennens, einen Gruß zu erwidern, bald streifte er – während sie dem Offizier immer lächelnd und eitel zuhörte – nach rechts, bald nach links. Nur mich, der ich, von ihrem Begleiter gedeckt, unter ihrem Blickfeld lag, hatte er noch nicht angerührt. Das ärgerte mich. Ich stand auf – sie sah mich nicht. Ich drängte mich näher – nun blickte sie wieder zu den Tribünen hinauf. Da trat ich entschlossen zu ihr hin, lüftete den Hut gegen ihren Begleiter und bot ihr meinen Sessel an. Sie blickte mir erstaunt entgegen, ein lächelnder Glanz überflog ihre Augen, schmeichlerisch bog sie die Lippe zu einem Lächeln. Aber dann dankte sie nur kurz und nahm den Sessel, ohne sich zu setzen. Bloß den üppigen, bis zum Ellbogen entblößten Arm stützte sie weich an die Lehne und nützte die leichte Biegung ihres Körpers, um seine Formen sichtbarer zu zeigen. Der Arger über meine falsche Psychologie war längst vergessen, mich reizte nur das Spiel mit dieser Frau. Ich trat etwas zurück an die Wand der Tribüne, wo ich sie frei und doch unauffällig fixieren konnte, stemmte mich auf meinen Stock und suchte mit den Augen die ihren. Sie merkte es, drehte sich ein wenig meinem Beobachtungsplatze zu, aber doch so, daß diese Bewegung eine ganz zufällige schien, wehrte mir nicht, antwortete mir gelegentlich und doch unverpflichtend. Unablässig gingen ihre Augen im Kreise, alles rührten sie an, nichts hielten sie fest – war ich es allein, dem sie begegnend ein schwarzes Lächeln zustrahlten oder gab sie es an jeden? Das war nicht zu unterscheiden, und eben diese Ungewißheit irritierte mich. In den Intervallen, wo wie ein Blinkfeuer ihr Blick mich anstrahlte, schien er voll Verheißung, aber mit der gleichen stahlglänzenden Pupille parierte sie auch ohne jede Wahl jeden anderen Blick, der ihr zuflog, ganz nur aus koketter Freude am Spiel, vor allem aber, ohne dabei für eine Sekunde scheinbar interessiert das Gespräch ihres Begleiters zu verabsäumen. Etwas blendend Freches war in diesen leidenschaftlichen Paraden, eine Virtuosität der Koketterie oder ein ausbrechender Überschuß an Sinnlichkeit. Unwillkürlich trat ich einen Schritt näher: ihre kalte Frechheit war in mich übergegangen. Ich sah ihr nicht mehr in die Augen, sondern griff sie fachmännisch von oben bis unten ab, riß ihr mit dem Blick die Kleider auf und spürte sie nackt. Sie folgte meinem Blick, ohne irgendwie beleidigt zu sein, lächelte mit den Mundwinkeln zu dem plaudernden Offizier, aber ich merkte, daß dies wissende Lächeln meine Absicht quittierte. Und wie ich jetzt auf ihren Fuß sah, der klein und zart unter dem weißen Kleide vorlugte, streifte sie mit dem Blick lässig nachprüfend ihr Kleid hinab. Dann, im nächsten Augenblick hob sie wie zufällig den Fuß und stellte ihn auf die erste 78
zurück zum  Buch Amok - Novellen einer Leidenschaft"
Amok Novellen einer Leidenschaft
Titel
Amok
Untertitel
Novellen einer Leidenschaft
Autor
Stefan Zweig
Datum
1922
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
158
Kategorien
Weiteres Belletristik
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Amok