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so keuchen sah, ein unanständiger und unappetitlicher Gedanke, ich stellte ihn
mir in ehelichem Alleinsein mit seiner Gattin vor, und übermütig geworden
an dieser Vorstellung, lächelte ich geradeaus in ihrem kaum mehr
beherrschten Zorn. Sie stand da, jetzt wieder blaß und ungeduldig und kaum
mehr sich beherrschen könnend, – endlich hatte ich doch ein wahres, ein
wirkliches Gefühl ihr entrissen: Haß, unbändigen Zorn! Ich hätte mir diese
boshafte Szene am liebsten ins Unendliche verlängert; mit kalter Wollust sah
ich zu, wie er sich quälte, um Stück für Stück seiner Ticketts
zusammenzuklauben. Mir saß irgendein schnurriger Teufel in der Kehle, der
immer kicherte und ein Lachen herauskollern wollte – am liebsten hätte ich
ihn herausgelacht oder diese weiche krabbelnde Fleischmasse ein wenig mit
dem Stock gekitzelt: ich konnte mich eigentlich nicht erinnern, jemals so von
Bosheit besessen gewesen zu sein, wie in diesem funkelnden Triumph der
Erniedrigung über diese frechspielende Frau.
Aber jetzt schien der Unglückselige endlich alle seine Ticketts
zusammengerafft zu haben, nur eines, ein blaues, war weiter fortgeflogen und
lag knapp vor mir auf dem Boden. Er drehte sich keuchend herum, suchte mit
seinen kurzsichtigen Augen – der Zwicker saß ihm ganz vorne auf der
schweißbenetzten Nase und diese Sekunde benützte meine spitzbübisch
aufgeregte Bosheit zur Verlängerung seiner lächerlichen Anstrengung: ich
schob, einem schuljungenhaften Übermut willenlos gehorchend, den Fuß
rasch vor und setzte die Sohle auf das Tickett, so daß er es bei bester
Bemühung nicht finden konnte, so lange mirs beliebte, ihn suchen zu lassen.
Und er suchte und suchte unentwegt, überzählte dazwischen verschnaufend
immer wieder die farbigen Pappendeckelzettel: es war sichtlich, daß einer –
meiner! – ihm noch fehlte, und schon wollte er inmitten des anbrausenden
Getümmels wieder mit der Suche anheben, als seine Frau, die mit einem
verbissenen Ausdruck meinen höhnischen Seitenblick krampfhaft vermied,
ihre zornige Ungeduld nicht mehr zügeln konnte »Lajos!« rief sie ihm
plötzlich herrisch zu, und er fuhr auf wie ein Pferd, das die Trompete hört,
blickte noch einmal suchend auf die Erde – mir war es, als kitzelte mich das
verborgene Tickett unter der Sohle, und ich konnte einen Lachreiz kaum
verbergen dann wandte er sich seiner Frau gehorsam zu, die ihn mit einer
gewissen ostentativen Eile von mir weg in das immer stärker aufschäumende
Getümmel zog.
Ich blieb zurück ohne jedwedes Verlangen, den beiden zu folgen. Die
Episode war für mich beendet, das Gefühl jener erotischen Spannung hatte
sich wohltuend ins Heitere gelöst, alle Erregung war von mir geglitten und
nichts zurückgeblieben als die gesunde Sattheit der plötzlich vorgebrochenen
Bosheit, eine freche, fast übermütige Selbstzufriedenheit über den gelungenen
Streich. Vorne drängten sich die Menschen dicht zusammen, schon begann
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Buch Amok - Novellen einer Leidenschaft"
Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik