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Uhr sein, und unwillkürlich bog ich hinüber zum Sachergarten, wo ich sonst
immer nach der Praterfahrt in Gesellschaft zu speisen pflegte und in dessen
Nähe der Fiaker mich wohl bewußt abgesetzt hatte. Aber kaum daß ich die
Gitterklinke des vornehmen Gartenrestaurants berührte, überfiel mich eine
Hemmung: nein, ich wollte noch nicht in meine Welt zurück, nicht mir in
lässigem Gespräch diese wunderbare Gärung, die mich geheimnisvoll erfüllte,
wegschwemmen lassen, nicht mich loslösen von der funkelnden Magie des
Abenteuers, der ich mich seit Stunden verkettet fühlte.
Von irgendwoher dröhnte dumpfe verworrene Musik, und unwillkürlich
ging ich ihr nach, denn alles lockte mich heute, ich empfand es als Wollust,
dem Zufall ganz nachzugeben, und dies dumpfe Hingetriebensein inmitten
einer weich wogenden Menschenmenge hatte einen phantastischen Reiz.
Mein Blut gärte auf in diesem dicken quirlenden Brei heißer menschlicher
Masse: aufgespannt war ich mit einemmal, angereizt und gesteigert wach in
allen Sinnen von diesem beizend qualmigen Duft von Menschenatem, Staub,
Schweiß und Tabak. Denn all dies, was mich vordem, ja selbst gestern noch,
als ordinär, gemein und plebejisch abgestoßen, was der soignierte Gentleman
in mir ein Leben lang hochmütig gemieden hatte, das zog meinen neuen
Instinkt magisch an, als empfände ich zum erstenmal im Animalischen, im
Triebhaften, im Gemeinen eine Verwandtschaft mit mir selbst. Hier im Abhub
der Stadt, zwischen Soldaten, Dienstmädchen, Strolchen, fühlte ich mich in
einer Weise wohl, die mir ganz unverständlich war: ich sog die Beize dieser
Luft irgendwie gierig ein, das Schieben und Pressen in eine geknäulte Masse
war mir angenehm, und mit einer wollüstigen Neugier wartete ich, wohin
diese Stunde mich Willenlosen schwemmte. Immer näher gellten und
schmetterten vom Wurstelprater her die Tschinellen und die weiße
Blechmusik, in einer fanatisch monotonen Art stampften die Orchestrions
harte Polkas und rumpelnde Walzer, dazwischen knatterten dumpfe Schläge
aus den Buden, zischte Gelächter, grölten trunkene Schreie, und jetzt sah ich
schon mit irrsinnigen Lichtern die Karusselle meiner Kindheit zwischen den
Bäumen kreisen. Ich blieb mitten aus dem Platze stehen und ließ den ganzen
Tumult in mich einbranden, mir Augen und Ohren vollschwemmen: diese
Kaskaden von Lärm, das Infernalische dieses Durcheinander tat mir wohl,
denn in diesem Wirbel war etwas, das mir den innern Schwall betäubte. Ich
sah zu, wie mit geblähten Kleidern die Dienstmädchen sich auf den Hutschen
mit kollernden Lustschreien, die gleichsam aus ihrem Geschlecht gellten, in
den Himmel schleudern ließen, wie Metzgergesellen lachend schwere
Hämmer auf die Kraftmesser hinkrachten, Ausrufer mit heisern Stimmen und
affenhaften Gebärden über den Lärm der Orchestrions schreiend
hinwegruderten, und wie alles dies sich quirlend mengte mit dem
tausendgeräuschigen, unablässig bewegten Dasein der Menge, die trunken
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Amok
Novellen einer Leidenschaft
- Titel
- Amok
- Untertitel
- Novellen einer Leidenschaft
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 158
- Kategorien
- Weiteres Belletristik