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Amok - Novellen einer Leidenschaft
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Page - 92 - in Amok - Novellen einer Leidenschaft

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Uhr sein, und unwillkĂŒrlich bog ich hinĂŒber zum Sachergarten, wo ich sonst immer nach der Praterfahrt in Gesellschaft zu speisen pflegte und in dessen NĂ€he der Fiaker mich wohl bewußt abgesetzt hatte. Aber kaum daß ich die Gitterklinke des vornehmen Gartenrestaurants berĂŒhrte, ĂŒberfiel mich eine Hemmung: nein, ich wollte noch nicht in meine Welt zurĂŒck, nicht mir in lĂ€ssigem GesprĂ€ch diese wunderbare GĂ€rung, die mich geheimnisvoll erfĂŒllte, wegschwemmen lassen, nicht mich loslösen von der funkelnden Magie des Abenteuers, der ich mich seit Stunden verkettet fĂŒhlte. Von irgendwoher dröhnte dumpfe verworrene Musik, und unwillkĂŒrlich ging ich ihr nach, denn alles lockte mich heute, ich empfand es als Wollust, dem Zufall ganz nachzugeben, und dies dumpfe Hingetriebensein inmitten einer weich wogenden Menschenmenge hatte einen phantastischen Reiz. Mein Blut gĂ€rte auf in diesem dicken quirlenden Brei heißer menschlicher Masse: aufgespannt war ich mit einemmal, angereizt und gesteigert wach in allen Sinnen von diesem beizend qualmigen Duft von Menschenatem, Staub, Schweiß und Tabak. Denn all dies, was mich vordem, ja selbst gestern noch, als ordinĂ€r, gemein und plebejisch abgestoßen, was der soignierte Gentleman in mir ein Leben lang hochmĂŒtig gemieden hatte, das zog meinen neuen Instinkt magisch an, als empfĂ€nde ich zum erstenmal im Animalischen, im Triebhaften, im Gemeinen eine Verwandtschaft mit mir selbst. Hier im Abhub der Stadt, zwischen Soldaten, DienstmĂ€dchen, Strolchen, fĂŒhlte ich mich in einer Weise wohl, die mir ganz unverstĂ€ndlich war: ich sog die Beize dieser Luft irgendwie gierig ein, das Schieben und Pressen in eine geknĂ€ulte Masse war mir angenehm, und mit einer wollĂŒstigen Neugier wartete ich, wohin diese Stunde mich Willenlosen schwemmte. Immer nĂ€her gellten und schmetterten vom Wurstelprater her die Tschinellen und die weiße Blechmusik, in einer fanatisch monotonen Art stampften die Orchestrions harte Polkas und rumpelnde Walzer, dazwischen knatterten dumpfe SchlĂ€ge aus den Buden, zischte GelĂ€chter, grölten trunkene Schreie, und jetzt sah ich schon mit irrsinnigen Lichtern die Karusselle meiner Kindheit zwischen den BĂ€umen kreisen. Ich blieb mitten aus dem Platze stehen und ließ den ganzen Tumult in mich einbranden, mir Augen und Ohren vollschwemmen: diese Kaskaden von LĂ€rm, das Infernalische dieses Durcheinander tat mir wohl, denn in diesem Wirbel war etwas, das mir den innern Schwall betĂ€ubte. Ich sah zu, wie mit geblĂ€hten Kleidern die DienstmĂ€dchen sich auf den Hutschen mit kollernden Lustschreien, die gleichsam aus ihrem Geschlecht gellten, in den Himmel schleudern ließen, wie Metzgergesellen lachend schwere HĂ€mmer auf die Kraftmesser hinkrachten, Ausrufer mit heisern Stimmen und affenhaften GebĂ€rden ĂŒber den LĂ€rm der Orchestrions schreiend hinwegruderten, und wie alles dies sich quirlend mengte mit dem tausendgerĂ€uschigen, unablĂ€ssig bewegten Dasein der Menge, die trunken 92
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Amok Novellen einer Leidenschaft
Title
Amok
Subtitle
Novellen einer Leidenschaft
Author
Stefan Zweig
Date
1922
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
158
Categories
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