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ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG
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Familie scheint man sich sogar Sorgen über das rechte Maß gemacht
zu haben: Anfang des Jahres 1910 hielten die Eltern es für notwendig,
Anna mit dem Schulbesuch aussetzen zu lassen Sie hatte nicht nur nach
einer Blinddarmoperation Gewicht verloren, sondern wirkte auf die Fa-
milienmitglieder ganz allgemein ein wenig zu unvernünftig.20 Wenn Du
hier nicht in den Zimmern zu rodeln verlangst, schreibt der Vater seiner
für ausgefallene Wünsche bekannten, mit der Schwester Mathilde auf
dem Semmering zur Erholung weilenden Tochter, so werden sich für das
viele ersparte Geld, wenn Du heimkommst, allerlei Genüsse zum Ersatz
finden lassen. In die Schule brauchst Du nicht zu gehen, ehe Du ordentlich
zugenommen hast. Vielleicht nimmst Du ein paar Privatstunden unterdes.21
Möglicherweise hat Anna die Schule erst im Herbst 1910 wieder besucht,
denn noch im Sommer 1910 schreibt Minna Bernays, die mit Sophie und
Anna in Jekels’ Privatsanatorium in Bistrai kurt, an Sigmund Freud, dass
Anna zwar zugenommen habe, aber doch noch ein kleines Meschuggenes
sei. Dr. Jekels sei dagegen, sie nach Wien und in die Schule zurückzu-
bringen 22 Dagegen vermeldet Anna Anfang September ihrem Vater: Ich
bin jetzt verhältnismäßig vernünftig.23 Die große Schwester, bei der sie zu
Schulbeginn in Wien wohnt, weil die Eltern noch auf Reisen sind, scheint
sich zwar mehr auf das ›Verhältnismäßige‹ dieser Aussage zu beziehen,
wenn sie – ebenfalls an den Papa – meint, Annerl sei ein armes Tier und
quäl[e] sich schrecklich mit allem, jedoch stellt auch sie jetzt eine relative
Vernunft in Bezug auf die Schule24 fest Jedenfalls geht Anna wieder ins
Lyzeum, holt im Oktober wegen des fehlenden Abschlusszeugnisses für
das vergangene Schuljahr eine Prüfung nach und versichert weiterhin,
ziemlich vernünftig zu sein, wenigstens sich darum zu bemühen.25 Im Juli
1912 legt sie die Reifeprüfung mit Auszeichnung ab.26
20 SF-AF, S 56 f , Anm 1 u SF-BadK, S 79, mit Anm 12
21 SF-AF, 2 Jänner 1910, S 56
22 SF-AF, S 59, Anm 4
23 SF-AF, S 63
24 SF-BadK, S 77 u 79, Brief v 9 September 1910
25 SF-AF, S 65, Brief v 11 September 1910
26 Jahres-Bericht des Cottage-Lyzeum Schuljahr 1912/13 Wien-Döbling 1913, S 46
u 47
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anna Freud
- Untertitel
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Herausgeber
- Brigitte Spreitzer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Abmessungen
- 13.5 x 21.0 cm
- Seiten
- 144
- Schlagwörter
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Kategorien
- Weiteres Belletristik