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ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG
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das Lehren so schwierig vorkommt, ist gewiß nur eine Art Vorwurf darüber,
daß Du es Dir jetzt so gut gehen läßt, und somit völlig grundlos. Fahre nur
so fort. Auch wir (Martha und er) empfinden manchmal Reue wegen des
Behagens, in das wir hier eingesponnen sind. Ich versuche sie zu mäßigen,
indem ich die in Wien angefangenen Schreibereien fortsetze.74
Um zu einer definitiven Anstellung zu gelangen, muss eine angehende
Volksschullehrerin nach damaliger Gesetzeslage nach mindestens75 zwei-
jähriger zufriedenstellender Dienstzeit (…) vor einer vom Unterrichtsmi-
nisterium ernannten Kommission die Lehrbefähigungsprüfung ablegen 76
Anna Freud tat dies, nach ca zweieinhalb Jahren Lehrtätigkeit, am 15
April 191877 mit schönem Erfolg, wie Freud an Ferenczi schreibt,78 nach-
dem sie schon ab dem Schuljahr 1917/18 als Klassen-, und nicht mehr nur
Hilfslehrerin eingesetzt worden war 79 [S]ie erwirbt kontraktlich 2000 K
im Jahr80 – eine Formulierung Freuds an Ferenczi, in der der Stolz über
die selbstständige Erwerbsfähigkeit und Berufstätigkeit seiner Tochter
anklingt Wie Anna zu dieser Zeit von außen erlebt wird, lassen die Erin-
nerungen von Martins zukünftiger Ehefrau Ernestine Drucker erahnen,
die ihre Schwägerin in spe als ganz anders als die Mädchen, die sie bisher
kennengelernt hatte, beschreibt Modische Kleider und Einladungen zu
Partys waren ihr nicht wichtig. Sie war sehr hübsch, aber nach der in der
Wiener Gesellschaft vorherrschenden Meinung ein Blaustrumpf, eine Frau,
der intellektuelle Beschäftigungen wichtiger waren als ihre äußere Erschei-
nung.81 – Auch nach dem Schuljahr 1918/19 – ihrem ersten Jahr als geprüf-
te Volksschullehrerin – hebt Freud ihren Erfolg als Pädagogin hervor: Ihr
Schuljahr hat sie mit großen Erfolgen beendigt 82 Im selben Brief an seinen
Sohn Ernst betont er aber auch, wie sehr sie erholungsbedürftig sei. Seit
Anfang 1917, unter der physischen Belastung durch die kalten Kriegswin-
74 SF-AF, S 147 f , Brief v 21 Juli 1915
75 Battista, Vorschriften, S 35
76 Mück, Die Lehrerinnenbildung, S. 184.
77 SF-SF, II,2, S 145
78 SF-SF, II,2, S 149
79 SF-AF, S 204, Anm 7
80 SF-SF, II,2, S 107
81 Sophie Freud, Im Schatten der Familie Freud, S 65 f
82 SF-BadK, hier an Ernst, S 288, Brief v 3 Juli 1919
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anna Freud
- Untertitel
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Herausgeber
- Brigitte Spreitzer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Abmessungen
- 13.5 x 21.0 cm
- Seiten
- 144
- Schlagwörter
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Kategorien
- Weiteres Belletristik