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ANNA FREUDS LITERARISCHE TExTE EINFÜHRUNG
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Die ersten Lyrikübersetzungen aus dem Englischen stammen aus dem
Jahr 1914, die folgenden mit einiger Sicherheit ebenfalls aus dieser Zeit,
eine letzte nachweisbare aus der Zeit um 1921 Es handelt sich um eini-
ge der »Hebrew Melodies« von Lord Byron, um Gedichte bzw Balladen
von Rudyard Kipling und um eine Auswahl aus der Sammlung »Bassae
and other verses« sowie eine Ballade aus »The Blue Ship« von Herbert
Jones Zu Herbert Jones bestanden persönliche Beziehungen; beide Ge-
dichtbände schenkte ihr der Autor mit persönlicher Widmung Byrons
»Hebrew Melodies« hatte Freud der Tochter selbst zur Übersetzungspro-
be vorgelegt; Kiplings »Jungle book« führte er als eines der zehn guten
Bücher an, die zu nennen er 1906 von den Herausgebern der »Neuen
Blätter für Literatur und Kunst« gebeten wurde.393 Dass Anna Kipling ge-
liebt hat, geht aus ihren Briefen hervor 394 Ihre Übertragungen wahren
Strophenform, Metrum, Reim und Sprachduktus der Vorlagen In der
größtmöglichen Nähe zum Original bei gleichzeitig poetischer Sprache
auch im Deutschen sind sie ein weiteres Zeugnis für Anna Freuds feines
Sprachgefühl. In der inhaltlichen Auswahl spiegeln sie teilweise noch
jene Zeit wider, in der Anna Freud laut Erzählungen von Mitschülerin-
nen Gedichte und Balladen über Helden liebte und sich gerne mit wildem
Kampfgeist identifizierte.395 Einer dieser balladesken Texte wurde bisher
ihr zugeschrieben,396 ist aber in Wahrheit eine Übersetzung von Her-
bert Jones’ Gedicht »Sword and Rose«.397 Die irrtümliche Zuschreibung
zeigt, wie sehr Anna fremde Texte zu durchdringen vermochte und sich
sprachlich so aneignete, dass keine Holprigkeit, kein Unebenmaß auf das
Übersetzte hinweisen würde. Und ihr den Text inhaltlich anzudichten ist
schon gar keine Schwierigkeit. Die Entscheidung für das Schwert und
gegen die Rose – für den Ruhm, gegen die Liebe – und dann das Lei-
den daran: das lässt sich gern und leicht auf Annas Biografie projizieren.
Auch es zur Übersetzung auszuwählen, spricht ja für Identifikation. Aber
dennoch: die Übersetzerin ist nicht die Autorin, und Identifikation ist
393 Freud, GW, Nachtragsband, S 663
394 SF-AF, S 82, 110, 235
395 Peters, Anna Freud, S. 47 ff. Young-Bruehl, Anna Freud, I, S. 69 ff.
396 Young-Bruehl, Anna Freud, I, S 128 f
397 Nr. 68
Anna Freud
Gedichte – Prosa – Übersetzungen
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anna Freud
- Untertitel
- Gedichte – Prosa – Übersetzungen
- Herausgeber
- Brigitte Spreitzer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79497-4
- Abmessungen
- 13.5 x 21.0 cm
- Seiten
- 144
- Schlagwörter
- Anna Freud, Psychoanalyse, Literatur, Frauengeschichte, Geschichte des Judentums, Wiener Moderne
- Kategorien
- Weiteres Belletristik