Seite - 18 - in Anton Kuh - Biographie
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Nach dem frühen Tod des Familienerhalters, der am Pfingstsonntag
1912 im 57. Lebensjahr an »Schlagadernverkalkung«9 verstirbt, schei-
nen die ohnehin permanent prekären Verhältnisse chronisch desolat
geworden zu sein. Mögen die zahlreichen Prager und Wiener Honora-
tioren, Kollegen und Freunde, die dem langjährigen Redakteur des
»Neuen Wiener Tagblatts« am 29. Mai 1912 in der israelitischen Abtei-
lung des Wiener Zentralfriedhofs die letzte Ehre erweisen, für dessen
Beliebtheit und Ansehen zeugen – Zählbares hinterläßt er, zeitlebens
sorglos im Umgang mit Geld und Gesundheit, seiner Familie nicht.
Das familiale Wedekind-Drama, in dem – das nur nebenbei, aber
nicht zu vergessen – Kinder mit ihren Eltern selbstverständlich per Sie
verkehren, spielt in den Kulissen der Boheme. Auguste Kuh, von ihrer
Tochter Grete als »unbürgerlich« und »alles eher, als was man Haus-
frau nannte«, beschrieben, hat zwar keinen Beruf erlernt, ist aber hoch
gebildet und verdient sich, »weil sie u. wir nie Geld hatten«, mit Latein-,
Griechisch- und Französisch-Nachhilfeunterricht sowie Klavierstun-
den »manchmal [ein] paar Gulden«.10 Sie bringt auch vereinzelt Artikel
sowie Übersetzungen literarischer Texte aus dem Französischen in der
»Prager Presse« und im »Prager Tagblatt« unter und gibt den zuständi-
gen Redakteuren unverhohlen zu verstehen, daß ihr schon klar ist, daß
die Bekanntheit ihres Sohnes Anton ihr dabei keineswegs Türen öffnet,
sondern im Gegenteil beim Akquirieren von Aufträgen nur schadet,
weil er mit allen anbindet.11 Nicht bloß für Anton Kuh, auch für seine
Schwestern und seine Mutter ist das Kaffeehaus »dauernder, selten
verlassener Aufenthaltsort«.12
Klagen über »Existenzschwierigkeiten«, über »erfolgloses ›Schnor-
ren‹«13
– einige Schnorrbriefe sind überliefert14
–, aktennotorische Zech-
prellerei, in der Sprache des »Zentralpolizeiblatts«: »betrügerische
Kost- u. Quartierschulden«15, Beschwerden über die wenig verläßliche
Unterstützung seitens ihres Sohnes16 und Mahnungen Dritter an die
Adresse Anton Kuhs17 konturieren den materiellen Hintergrund der
konfliktträchtigen Konstellation.
meines Großvaters, der sich im Geist, doch nicht in der Gesinnung seines
Enkels als Zeitungsmann und Politiker betätigt hatte und dafür von Stu-
denten mit der Inschrift bedankt worden war: ›Alle Ehre von der Treue
kommt‹. Leitartikler vorgeschrittenen Alters musterten mich mißratenen
Erben des Liberalismus, inwieweit ich durch den Ausspruch bewegt würde.
Es war eine Luft um uns von Rütlischwur und Ritterschlag. Soviel Pathos
war ich nicht gewachsen
– ich entlief den Pionieren des Deutschtums in ein
tschechisches Beisl« (Anton Kuh: Prag. Eine Vision der Wirklichkeit. In:
Neues Wiener Journal, Jg. 35, Nr. 12.209, 20.10.1927, S. 11-12 [Nr. 939]).
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Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien