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Jahrestagen etwa von Frank Wedekind109, Shakespeare110 und Gustav
Freytag111, trägt aber auch, wenn er sich, wie so oft, in Prag aufhält,
»Entdeckungen eines Zugereisten«112 und Prager Streiflichter bei, Skiz-
zen eines geistesgegenwärtigen Flaneurs, Beobachtungen, die mit einer
»Chronik«-Meldung ein Schlaglicht auf einen gesellschaftlichen Tat-
bestand werfen, etwa auf die Unterschiede im Grußverhalten zwischen
der Donau- und der Moldaumetropole – hie Koketterie, wahlweise
petschierlich oder streberhaft; da Zeremoniell, »ein kaufmännisches
Eintragen des Nominalwertes der persönlichen Würde«113 –, und Be-
sprechungen von Aufführungen am Neuen deutschen Theater und am
Landestheater (im Winter 1916/1917). Von Januar 1916 bis August 1917
berichtet Kuh auch regelmäßig über den Wiener Theaterbetrieb
– häufig
»Referate«, die gleich im Anschluß an die Premiere telephonisch an die
Redaktion übermittelt werden – sowie vereinzelt (ab Juni 1917) über
Parlamentsdebatten und Gerichtsprozesse. 1913 aber auch ausführlich
über die Landplage der »stud. med., stud. jur. und stud. phil. mit dem
souveränen Burschensignum«, als die von deutschnationalen Studenten
inszenierten Krawalle – Übergriffe auf jüdische Kommilitonen und
Professoren
– im Frühjahr derart überhand nehmen, daß der Rektor am
21. Juni die Schließung der Universität und die Sistierung der Lehr-
veranstaltungen und Prüfungen verfügt.114
Im Vergleich zu den vor Selbstbewußtsein strotzenden, »chuzpösen«
Beiträgen zum »Montagsblatt aus Böhmen« – da kanzelt der Jung-
spund etwa im März 1910 die gesamte Wiener Presse ab, die in ihren
allzu pietät-, takt- und weihevollen Nachrufen auf den langjährigen
Wiener Bürgermeister Karl Lueger einen fatalen Sachverhalt unterschla-
gen habe: die atmosphärischen Verwüstungen, die der Volkstribun, der
den Antisemitismus zum politisch-populistischen Programm erhoben
hatte, angerichtet habe, indem er die »Bierbank in den Beratungssaal«
gestellt und »die Dummheit repräsentationsfähig gemacht« habe
– wir-
ken die frühen Arbeiten im »Prager Tagblatt« mit ihrer Bildungshuberei
überladen und überanstrengt, sprachlich und vom Duktus her beinah
betulich, »verstuckt«, weit entfernt jedenfalls von dem, was man als
»typisch Kuh« bezeichnen würde, und noch die Beiträge der späten
1910er Jahre wirken »con sordino«
– gedämpft von Chefredakteur Karl
Tschuppik, der das junge Talent zwar protegiert, dessen Texte aber
gehörig herunterstimmt.
Ab Feber 1914 liefert Anton Kuh einigermaßen regelmäßig Beiträge,
in dichter Folge ab Winter 1915/1916. Da sind die Tageszeitungen voll
mit lakonischen, jeweils numerierten »Verlustlisten«, die, getrennt nach
Offizieren und Mannschaft, alphabetisch die Verwundeten, Toten und
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien