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Da haben auch die geistigen Regimenter längst mobil gemacht. Die
erste öffentliche Initiative zur moralischen Aufrüstung der deutschen
Bevölkerung durch Größen aus Wissenschaft und Kunst datiert vom
4. Oktober 1914. Der »Aufruf an die Kulturwelt«, der an diesem Tag in
den großen deutschen Tageszeitungen erscheint und, in zehn Sprachen
übersetzt, weltweit verbreitet wird, trägt die Unterschriften von drei-
undneunzig Repräsentanten deutscher Geisteswelt, darunter sechsund-
fünfzig Professoren. Sie verwahren sich darin »gegen die Lügen und
Verleumdungen, mit denen unsere Feinde Deutschlands reine Sache in
dem ihm aufgezwungenen schweren Daseinskampfe zu beschmutzen
trachten«; bestreiten, »daß wir freventlich die Neutralität Belgiens ver-
letzt haben«, »daß eines einzigen belgischen Bürgers Leben und Eigen-
tum von unseren Soldaten angetastet worden ist, ohne daß die bitterste
Notwehr es gebot«; sprechen den Franzosen und den Engländern, »die
sich mit Russen und Serben verbündeten und der Welt das schmach-
volle Schauspiel bieten, Mongolen und Neger auf die weiße Rasse zu
hetzen«, das Recht ab, »sich als Verteidiger europäischer Zivilisation zu
gebärden«; und versichern abschließend in patriotischem Überschwang,
»daß wir diesen Kampf zu Ende kämpfen werden als ein Kulturvolk,
dem das Vermächtnis eines Goethe, eines Beethoven, eines Kant ebenso
heilig ist wie sein Herd und seine Scholle«. In der »Erklärung der
Hochschullehrer des Deutschen Reiches« vom 16. Oktober 1914 ma-
chen die 3016 Unterzeichneten dem Epitheton »geistiges Leibregiment
der Hohenzollern«, mit dem die Berliner Universität vom Physiologie-
Ordinarius Emil Du Bois-Reymond bedacht wurde, alle – zweifel-
hafte – Ehre, indem sie »mit Entrüstung« das Ansinnen der »Feinde
Deutschlands, England an der Spitze«, zurückweisen, zugunsten der
Akademiker »einen Gegensatz machen [zu] wollen zwischen dem Geiste
der deutschen Wissenschaft und dem, was sie den preußischen Militaris-
mus nennen. In dem deutschen Heere ist kein anderer Geist als in dem
deutschen Volke, denn beide sind eins, und wir gehören auch dazu. […]
Unser Glaube ist, daß für die ganze Kultur Europas das Heil an dem
Siege hängt, den der deutsche ›Militarismus‹ erkämpfen wird, die Man-
neszucht, die Treue, der Opfermut des einträchtigen freien Volkes.«117
Das gemeine Volk wird »mitgenommen«: Auf dem Gelände des
Kaisergartens und der angrenzenden Galizinwiese im k. k. Prater fin-
det von Mai bis Oktober die »Kriegsausstellung Wien 1917« statt,
eine überarbeitete Neuauflage des im Jahr zuvor auf 50.000 Quadrat-
metern inszenierten Spektakel-Themenparks mit musikalischem Be-
gleitprogramm. War die Galizinwiese 1916 noch von einem eng-
maschigen Netz unterschiedlicher Schützengräben-, Verteidigungs- und
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien