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klärbar ist
– kurz, die Burschen haben gutes Kastenblut im Leibe. Was
aber, mit Verlaub bitte! – soll man von den Wiener Deutsch-Büberln
sagen? ›Wiener‹ und ›deutsch‹ – das klingt ohnedies zusammen wie
›Palat schinken‹ und ›Kyffhäuser‹. Es war die schönste Eigenschaft des
Donauvolkes, daß es, seiner Eigenschaft als Höflings- und Lustbarkeits-
volk bewußt, den Namen Dvořák und Novotny nie mit starkem deut-
schen Nationalakzent hinausposaunt hat. Anders die Junioren. Sie stam-
men ihrem Großteil nach aus einer strebsamen Armeleut’schichte. […]
Sie sind Produkte jenes von Kürnberger ›asiatisch‹ getauften magya-
risch-polnisch-tschechisch-slovenisch-bajuvarischen Mischmasch, der
dort unten zum Zweimillionenbrei zerflossen ist, und haben Mühe,
ihre Namen ›hakerlfrei‹ zu erhalten. […] Ärmliche Lattengucker des
Wiener jüdisch-bajuvarischen Pantsch-Humors, fühlen sie sich durch
die letzten Brosamen beglückt, die ihnen von der reichbesetzten Schie-
ber-Tafel der heutigen Wiener Kultur zufallen … Und das spielt Kapp
und Lüttwitz!«73
Am Freitag, dem 29. Oktober 1920, will Anton Kuh um »8 Uhr
abends im ›Graphischen Kabinett‹ (Kurfürstendamm 292) den Versuch
machen, zu erfahren, was [er] über den Dadaismus denke und ob er
durch Überschätzung nicht zu jenem stupiden Gesicht gebracht wer-
den kann, das er sonst seinem Publikum aufzwingt«, wie er in einer
Vortragsankündigung wissen läßt.
Er brauche dazu »weiter nichts als Physiognomien, deren
Anblick [ihn] im Fluß der rhetorischen Befindung hält. Vor-
herige briefliche oder telephonische Anfragen, was Shake-
speare und Dada miteinander zu tun haben, bleiben teils wegen
des Reinerträgnisses des Abends, teils wegen der Unfähigkeit
des Vortragenden, derzeit Bescheid darüber zu wissen, unbe-
antwortet.«74
Kuh wirft den Dadaisten, die vom Unsinn nicht lebten, weil sie an-
ders nicht können, sondern weil der Unsinn rentabel sei, Verrat am
Dadaismus vor. Sie machten geschäftstüchtig »in Unsinn«. Die Bezie-
hung »Shakespeare – Dada« ist Joseph Roth »nicht überzeugend ge-
nug« ausgeführt, »aber in der Form so elegant ausgedrückt, daß sie
glaubhaft wirkte«. Es komme aber bei Kuh ohnehin »mehr auf das Wie
an. Darin enttäuscht er niemals. / Dialektisch in der Betrachtung, para-
dox im Ausdruck, salopp in der Gebundenheit, witzig im Ernsthaften,
ernst bei Lächerlichkeiten und köstlich-anmutig selbst im Kaffeehäus-
lichen: So ist Anton Kuh einer der elegantesten, geistigen Leichtakro-
baten. Wertvoll, weil selten in einer Zeit, die nur deshalb brutal oder
pathetisch, dumm oder politisch wird, weil sie geistlos ist.«75
Berlin,
Graphisches
Kabinett,
29.10.1920,
20 Uhr:
Shakespeare
und Dada
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien