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sichert zu, sich nicht in die inneren Angelegenheiten des Nachbarstaats
einzumischen. Im Gegenzug werde die österreichische Bundesregie-
rung »ihre Politik im allgemeinen wie insbesondere gegenüber dem
Deutschen Reiche stets auf jener grundsätzlichen Linie halten, die der
Tatsache, daß Österreich sich als deutscher Staat bekennt, entspricht«.
Ein nicht veröffentlichtes Zusatzprotokoll stellt diese Verlautbarungen
indessen auf den Kopf. Es spiegelt die Verschiebung der Machtverhält-
nisse nach der Annäherung Roms an Berlin wider, durch die Österreich
die Schutzmacht seiner Selbständigkeit, das faschistische Italien, verloren
hat. In diesem sogenannten Gentlemen-Agreement verpflichtet sich
Österreich zu einer engen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen
Zusammenarbeit mit Deutschland
– eine Klausel sieht eine permanente
Konsultation Deutschlands seitens Österreichs vor –, zu einer umfas-
senden Amnestie von Nationalsozialisten und zur Einbindung von
Vertretern der den Nationalsozialisten nahestehenden »nationalen Op-
position« in die Regierung. »Realpolitisch« also »kalter Anschluß«.
Die 41 Wiener »Meldezettel für Reisende« (bis Juni 1937 des Hotel
Bristol, ab dann des Hotel Beatrix), die von Januar 1935 bis Feber 1938
überliefert sind, weisen als »ordentlichen Wohnsitz« Anton Kuhs bis
Juni 1937 Paris, zumeist das Hotel »La Boëtie« unweit der Champs-
Élysées, ab Juli 1937 London aus.
Gleich, ob Anton Kuh nun in Hinkunft von Paris oder London
– wo
er von Ende 1934 bis Mitte 1936 vorwiegend lebt
– oder von New York
aus (ab 1938) die Vorgänge in seiner Geburtsstadt kommentiert, tut er
das bis (beinahe) zuletzt nicht als indifferenter Zaungast, sondern weiter-
hin als, mit Verlaub, verzweifelt Liebender.
Die Bürgerkriegsereignisse des Feber 1934 etwa, die Walther Rode
markig kommentiert hatte: »Die Dollfußsche Kanonade kommt vom
echt österreichischen Kretinismus her, ist der Kirchweihexzeß eines
Dorftrottels«74, und die Etablierung des österreichischen Ständestaats
kommentiert Kuh in der Pariser Illustrierten »VU« unter dem Titel »La
fin de Vienne«: Mit dem Fall dieser letzten Bastion der Zivilisation in
Zentraleuropa sei der seit 1919 tobende Kampf der Provinz (des allzu
platten Landes) gegen die Stadt entschieden und der Untergang der
romanischen Lebensart, des »Leben und Lebenlassen« besiegelt.75 Den
»Juliputsch« 1934 sieht Kuh als Fanal des 15. Juli 1927, des »Tags des
Wiener Bastillensturms«, »an dem die Sozialdemokratie in Österreich
ihre Entscheidungsschlacht verloren hatte (die Febertumulte waren ja
bloss ein hoffnungsloses Nachspiel)«.76 »Die Milde der Justiz, welche
den Eintags-Sturm von 1927 hervorrief, hat ihre bösen Früchte getragen,
aus den Freigesprochenen wurden Terroristen. Ihre Helfershelfer aber
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien