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im Sonntagsmagazin der »New York Times« eine Parallele zwischen
Napoleon und Hitler gezogen hat: »Es war eine jener ›deutschen Schul-
arbeiten‹, mit dem obligaten Zitatenflitter garniert und […], wie sie die
bürgerliche Presse in der diluvialen Zeit vor Hitler ihren Lesern am
Sonntag gern zum Morgenkaffee kredenzte.« Was Kuh in Rage bringt,
das ist – in anderen, wieder Kuhschen Worten, die diesmal auf das
Feuilletonistische im allgemeinen zielen
– die »widerliche […] Mischung
aus Schularbeitsoptimismus und Konditoreigrazie, Gedankenpunkt-
ironie und Parvenügeist«.42 Und er stellte in seiner kurzen Glosse
dreimal die Frage, ob »noch so fein appretierte Schulaufsätze in dieser
Zeit« denn zu irgendetwas nütze seien.
Er betreibt weiterhin seine physiognomischen Studien. Findet etwa im
August 1940 beim Betrachtens eines Photos des Kabinetts der Vichy-
Regierung alles versammelt
– »bös verkniffenes Greisentum; die Kurz-
stirnigkeit unterer amtlicher Gehaltsklassen; heroische Stulpnasen; aus-
gehungerten Ehrgeiz in juvenilen Blassgesichtern«
–, was »sogenannte
›tatentschlossene‹, ›diktatorial durchgreifende‹ Regierungen« auszeichne
und angesichts der frappierenden Ähnlichkeit dieser Visagen, gleich ob
deutscher, französischer, italienischer oder welcher nationalen Spielart
auch immer, die erste und »einzige Internationale« darstelle, die »erste
physiognomische Internationale«.43 Ätzt über die Feierlichkeit und den
Ernst, mit denen die Protagonisten des neuesten europäischen Gesell-
schaftsspiels, des »Pakt-Unterschreibens«, hohe Herrschaften mimen:
»Was immer man dem Rang und der Klasse der heutigen Diplomaten
nachsagen mag, schauspielerisch geschult sind sie aus dem Effeff. Vor
dem Blitzlicht der Weltgeschichte zu sitzen, seine Feder für die Jahr-
tausende einzutunken, und zu wissen, dass das Ganze keine 24 Stunden
lang wahr bleibt, das erfordert eine Anspannung der Gesichtsmuskeln,
die kein Hollywood-Extra44 aushält.«45 Analysiert die »Führer«-Ikono-
graphie und bürstet sie gegen den Strich, den leutseligen Schirmherrn
seines Volks ebenso46 wie den strammen Feldherrn, der »mit finsterer
Entschlossenheit herumschaut und die Mimik des Sodbrennens aufs
Schlachtfest mitnimmt«. Und entwirft eine Psychopathologie dauer-
feuernder Wort-Kanonen vom Schlage eines Adolf Hitler und Benito
Mussolini.47
Er verfolgt weiterhin das internationale Geschehen, sorgt sich etwa
um Georges Mandel, den vehementesten Gegner von Nationalsozialisten
und Faschisten in den französischen Vorkriegs- und Kriegskabinetten,
um dessen Hals sich nach dem deutschen Blitzsieg die Schlinge zusam-
menzieht.48 Beklagt das Los von Herschel Grynszpan, dessen tödliches
Revolverattentat auf Botschaftssekretär Ernst vom Rath am 7. Novem-
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Buch Anton Kuh - Biographie"
Anton Kuh
Biographie
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Anton Kuh
- Untertitel
- Biographie
- Autor
- Walter Schübler
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3189-1
- Abmessungen
- 13.8 x 22.2 cm
- Seiten
- 576
- Kategorie
- Biographien