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94 Amüsement indenMetropolen
VomPeople’sTheatrezurPeople’sMusicHall inNewYork
Dasunsichtbare jüdischeBudapestkonterkariertdasschonfastdeutlichsicht-
barejüdischeNewYork.InNewYorkwarenMigrationimAllgemeinenunddie
jüdischenMigrant*innenimBesonderenmitderLowerEastSideverbunden.
Dassogenannte„Hebrewquarter“oderdie„Jewtown“erstrecktesichvonder
HoustonStreetimNordenvomEastVillageabgekoppeltundvomEastRiverim
WestenundderAllenStreet imOstenbegrenzt.Abden1870er Jahrenkamen
hier jüdischeMigrant*innenausEuropa inder„goldenenMedine“(Amerika)
an.Vielevonihnenarbeiteten inderTextilindustrie.Sie lebten inengenStock-
häusern,densogenannten tenements.DieKellergeschossederHäuserboten
aberaucheinergroßenBarszenePlatz.DieSouterrainswurdenzukleinenBars
umgebaut,hierversammeltensichdieBewohner*innenabends,wennsienicht
ineinemderanderenRäumepopulärerKulturzufindenwaren.185
DerFotografund Journalist JacobRiisdokumentierte inden1890er Jah-
rendas Lebender „neuenAmerikaner“ in denNewYorker tenements. Als
Riisdamitbegann,nahmerdieLowerEastSidealseinenderamdichtesten
besiedeltenPlätzederWeltwahr.Riisglaubtenichtandas,washeutePlurikul-
turalitätgenanntwird.AuchwollteerkeineStudieüberdasMigrantenleben
per se anfertigen.VielmehrwollteRiis denUrsachen fürProblemewieder
hohenKriminalitätanderLowerEastSideaufdenGrundgehen.DieLösung
derProblemesahderFotoreporter inder„vollständigenAssimilation“durch
ChristianisierungderImmigrant*innen.186Nichtsdestowenigerprägteseine
Reportage–vermutlichnicht intendiert–einBildderVielschichtigkeitder
LowerEastSide,die indenvielenkleinenCafés,dengroßenTheaternundbald
auchdenSingspielhallenaugenscheinlichwurde.
RiisschriebauchvondiesenUnterhaltungslokalitäten,diesichnachundnach
zwischendenSynagogenansiedelten.EdmundJames,einandererBeobachter
derZeit, schrieb inTheImmigrant Jew inAmericaüberdieKultur, die sich
hierzwischenreligiöserTraditionundneuenTrendsunterdenMigrant*innen
ausbreitete:„ItisalmostadesecrationofthejoyoftheSabbathnottohavealittle
brandybefore thefishcourse,oncewith thecourse,andonceafter.“187Damit
beschrieb James, dass sich Sitten,wie amShabbat nichtAlkohol in großen
Mengenzukonsumieren,mitneuenGewohnheitenveränderten.Eswarkeine
Seltenheit seinShabbatmahlzueinemUnterhaltungsangeboteinzunehmen.188
185 Diner,YiddishNewYork.52.
186 Riis,HowtheOtherHalfLives,132–134.
187 EdmundJames,TheImmigrant JewinAmerica(NewYork:B.F.Buck&Company,1907),
222, sieheaußerdem223–226.
188 RobertW.Snyder,Voiceof theCity:VaudevilleandPopularCulture inNewYork(NewYork,
Oxford:OxfordUniversityPress,1989).
© 2021 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien
https://doi.org/10.7767/9783205211884 | CC BY 4.0
Auf die Tour!
Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
Zwischen Habsburgermonarchie und Amerika
- Titel
- Auf die Tour!
- Untertitel
- Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
- Autor
- Susanne Korbel
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21188-4
- Abmessungen
- 15.9 x 24.0 cm
- Seiten
- 272
- Kategorie
- Kunst und Kultur