Seite - 201 - in Auf die Tour! - Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
Bild der Seite - 201 -
Text der Seite - 201 -
(Jüdischer)HumorundÄhnlichkeit 201
getrenntauf, sonderngemeinsamoderstehenzumindest inBeziehungzuein-
ander.DerWitzkannauchaufdieKomikzurückgreifen.DieKomikbedient
sichentwederdesNaivenoderderZote,gelegentlichauchderZukunftsvision.
DamitdieKomik„gefunden“werdenkann,bedarf esderMöglichkeit eines
„Sichhineinversetzens“.DieSituationmüssedieHaltungeines„Verstehenwol-
lens“evozieren.81KomikundWitzgegenüberpositioniertFreuddenHumor.
HumorseieinegoistischmotivierterLustgewinn.ErbieteLust,ohneeinGros
anGefühleninvestierenzumüssen.„Mich,denunbeteiligtenZuhörer, trifftge-
wissermaßeneineFernwirkungderhumoristischenLeistungdesVerbrechers;
ichverspüre,vielleichtähnlichwieer,denhumoristischenLustgewinn.“82
Empathie zur dargestellten Situation, zur porträtiertenPersonoder zum
Geschehenaufbauenzukönnen, seidieGrundvoraussetzungfürAmüsement.
DeswegenteiltenallendreiFormendesAmüsements–Witz,KomikundHu-
mor–dieGrundbedingung,dasseinHineinversetzen indasDargestellte, ein
EmpfindenbeziehungsweiseeineBereitschaftzumErkennenvonÄhnlichkeit
evoziertwerdenmüsse. Laut Freudgeschieht dies beimHumor aufKosten
anderer,WitzundKomikbedürfeneinergewissenSelbstironieundVorstel-
lungskraft.DieLust (amAmüsementundderUnterhaltung sowiedie Lust
durchsie) seiunmittelbareFolgediesesErkennensvonÄhnlichkeit.Mitdieser
LustunddemSuchennachihrspieltendieKünstler*inneninderpopulären
Kultur.Sieverstandenesgekonnt,abzuwägen,wievielVorstellungskraftdem
Publikumabverlangtwerdenkonnte.MitPointen, die sie häufigauf eigene
Kostenservierten,gelanges ihnendasvolle subversivePotentialderUnterhal-
tungskulturzuentfalten.
Wasabermeint, imAmüsementeineÄhnlichkeitaufzubauen?Umnachvoll-
ziehenzukönnen,welcheFaktorenabzuwägenfürdieKünstler*innenwich-
tigwar, folgenhierzunächstÜberlegungenzumÄhnlichkeitsdenken.Walter
Benjamin (1892–1940)beschäftigtesichmitderBedeutungvonÄhnlichkeits-
wahrnehmungenindemimHerbst1933verfasstenAufsatzüberDieLehrevom
Ähnlichen.DarinbezeichneteBenjamindieFähigkeit,Ähnlichkeitzuprodu-
zierenundwahrzunehmen,alseinedergrößtenLeistungendesMenschen.83
sieheGilmanSanderL., Freud,Race, andGender (Princeton:PrincetonUniversityPress,
1993).
81 Freud,DerWitzundseineBeziehungzumUnbewußten,193–200sowie209–211.
82 Freud,DerHumor,253.HierinsahFreudaberaucheineLustüberspitzung,die insGroßartige
undErhabeneabdrifte–„denTriumpfdesNarzissmus“.Ebda.,254.
83 WalterBenjamin,DieLehrevomÄhnlichen, in:ders.,GesammelteSchriften2,1,herausgege-
benvonRudolfTiedemannundHermannSchweppenhäuser (FrankfurtamMain:Fischer,
1977), 204–213. SieheKapiteleingangszitat.DorotheeKimmichweist daraufhin, dassko-
gnitiveLernprozesseüberÄhnlichkeitswahrnehmungenablaufen.Kimmich, InsUngefähre,
9–12.
© 2021 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien
https://doi.org/10.7767/9783205211884 | CC BY 4.0
Auf die Tour!
Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
Zwischen Habsburgermonarchie und Amerika
- Titel
- Auf die Tour!
- Untertitel
- Jüdinnen und Juden in Singspielhalle, Kabarett und Varieté
- Autor
- Susanne Korbel
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21188-4
- Abmessungen
- 15.9 x 24.0 cm
- Seiten
- 272
- Kategorie
- Kunst und Kultur