Seite - (000452) - in Autonomes Fahren - Technische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte
Bild der Seite - (000452) -
Text der Seite - (000452) -
Prädiktion von maschineller Wahrnehmungsleistung beim automatisierten
Fahren436
Erweiterung des sicher prädizierbaren Zeitraums, können aber Planungsalgorithmen den-
noch unterstützen. Ferner ist anzumerken, dass manuelle Fahrer auch in vielen Situationen
keine Chance haben, geeignet zu reagieren, wenn sich andere Fahrzeugführer nicht regel-
gerecht verhalten oder unvorhergesehene Fahrfehler begehen. Insofern müssen auch an
automatisierte Fahrzeuge sicher keine zu übertriebenen Anforderungen gestellt werden.
Dies ist aber natürlich eine Frage des gesellschaftlichen Konsenses hinsichtlich des zu-
lässigen Gefährdungspotenzials einer neuen Technologie.
20.5 Zusammenfassung
Die existierenden Methoden der Zustands- und Existenzschätzung basieren auf einer ge-
schlossenen, fundierten Theorie und erlauben schritthaltend eine zuverlässige Bewertung
der aktuellen Güte der maschinellen Wahrnehmungsleistung. Hiermit ist es möglich, Kom-
plettausfälle einzelner Sensoren sowie eine schleichende Degeneration in der Sensorik und/
oder Wahrnehmung festzustellen.
Die Verfahren erlauben jedoch keine Vorhersage der zukünftigen Wahrnehmungs-
leistung, lediglich ein lineares Fortschreiben von erkannten Trends ist denkbar. Die Zuver-
lässigkeit und Güte der Bewertung der maschinellen Wahrnehmungsleistung ist von ver-
fügbaren Sensormodellen abhängig, insbesondere von Fehlermodellen, die sensor- und
herstellerspezifisch sind. Die Wahrnehmungssysteme allein besitzen keine ausreichende
Prädiktionsfähigkeit, die einen Zeithorizont zwischen fünf und zehn Sekunden sicher ab-
decken könnte, so wie er heute für den Rückgabefall des hochautomatisierten Systems an
den Fahrer angesehen wird. Dies ist allerdings für ein sicheres Verhalten eines automati-
sierten Fahrzeugs vermutlich auch gar nicht notwendig. Entscheidend für die Beherrsch-
barkeit von Situationen beim automatisierten Fahren sind ausreichend viele, physikalisch
umsetzbare und sichere Handlungsoptionen des automatisierten Fahrzeugs. Diese sind im
Wesentlichen durch die räumliche Nähe von begrenzenden Objekten zum eigenen Fahr-
zeug und den verfügbaren, befahrbaren Freiraum bestimmt, sodass räumliche Nähe unter
Einbeziehung von Unsicherheiten in der Wahrnehmung und die Zahl der physikalisch
möglichen, sicheren Handlungsoptionen in Kennzahlen zur Bewertung einer Kritikalität
einfließen müssen. Auch muss die aktuell verfügbare maschinelle Wahrnehmungsleistung
hierin Berücksichtigung finden. Derartige ausreichend abgestimmte und theoretisch fun-
dierte Kritikalitätsmaße existieren heute noch nicht.
Eine Situationsprädiktion in die Zukunft über einen Zeitraum von zwei bis drei Sekun-
den hinaus wird bei rein modellbasierter, probabilistischer Fortschreibung keine Aussage
mehr liefern, da jede Entwicklung der Situation möglich ist. Ein möglicher Lösungsansatz
und eine zukünftige Forschungsfrage ist die kontextbezogene, hypothesenbasierte zeitliche
Fortschreibung einer erkannten und bewerteten Situation. Eine Möglichkeit ist hier, in
Anlehnung an das menschliche Verhalten, Situationsepisoden, d. h. reale Entwicklungen
aus einem beliebigen Anfangsstand im Fahrbetrieb, zu erfassen, zu clustern und in einer
Wissensbasis zu hinterlegen. Bei vorhandener Wissensbasis kann dann ständig die aktuel-
Autonomes Fahren
Technische, rechtliche und gesellschaftliche Aspekte
Gefördert durch die Daimler und Benz Stiftung