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christinE JakoBi-mirwald
angesehenen delikaten Nadelarbeiten auszuführen.57 In Ermangelung eindeutiger
Quellen sei an dieser Stelle umgekehrt „gegendert“ und vorsichtig gefragt, ob nicht
auch Männer in Paramentenstickerei und anderen Handarbeiten erfahren gewesen
sein können.58
Bei Pergamentreparaturen gilt es, den grundlegenden Unterschied zu beach-
ten, ob sie auf der nassen Haut oder im fertigen Zustand angefügt wurden. Perga-
menternähte werden noch vor dem Spannen an der nassen Haut vorgenommen,
der Pergamenter vernäht Löcher oder kurze Risse, meist mit Tiersehnen, um so
Schreibfläche zu gewinnen. Beim Spannen entstehen die typischen, wulstig-ver-
hornten Stellen mit gedehnten Einstichlöchern, die sich leicht von Arbeiten am fer-
tigen Beschreibstoff unterscheiden lassen. Eine Handschrift aus Admont (Cod. 16)
liefert zahlreiche Beispiele dafür, wie Pergamenternähte nachträglich überarbeitet
wurden. Die Fäden gingen oft beim Schleifen des Pergaments verloren, was einfach
offen gelassen, wieder mit Fäden versehen oder mit enggeführten bunten Nähten
überarbeitet werden konnte (Abb. 2). Mitunter gaben Pergamenternähte unter der
Spannung teilweise oder ganz nach, und die Löcher wurden mit verschiedenen Na-
delarbeiten wieder verschlossen (Abb. 2, 3, 10). Dagegen haben Ein- oder Ansetzun-
gen am fertigen Pergament immer glatte Kanten (Abb. 5, 6, 7, 8, 12). Kleinere Lö-
cher sind oft im Pergament verblieben, wo sie umpunktet oder verziert, aber auch
mit nadelgebundenen Flicken versehen werden konnten (Berthold-Sakramentar,
57 Vgl. zum Beispiel Ginsbach, Ein Missale (zit. Anm. 31), S. 9–10, Abb. 3; Sciacca, The
Gradual (zit. Anm. 13). Es werden zwar in Weingarten anlässlich des Feuers von 1215 noch
ansässige Nonnen erwähnt, vgl. Rudolf, Das Berthold-Sakramentar 1999 (zit. Anm. 10),
S. 265 – Kloster Weingarten war von Welf IV. im 11. Jahrhundert mit Mönchen aus
Altomünster besiedelt worden, die mit dem bisherigen Weingartener Nonnenkonvent
Platz tauschten (Sciacca, The Gradual [zit. Anm. 55], S. 85). – Vergleichbare Ziernähte
tauchen vereinzelt auch in anderen Handschriften auf, zum Beispiel in der Dekretalen-
handschrift Fulda, Hochschul- und Landesbibliothek, D 5, die keine Miniaturen enthält
(Köllner / Jakobi-Mirwald, Die illuminierten Handschriften [zit. Anm. 13], Kat. 54).
58 Kathryn Rudy vermeidet in ihrem jüngsten Aufsatz die Frage ganz, vgl. Kathryn M.
Rudy: Sewing as Authority in the Middle Ages. In: Zeitschrift für Medien- und Kultur-
forschung, Heft 6, 1 (2015), S. 117–131; auch Sciacca, The Gradual (zit. Anm. 13), S. 85,
äußert sich vorsichtig („tantalizing evidence … perhaps by women …“). – Auf der Ta-
gung in Graz (zit. Anm. 53) wies Hans Zotter in diesem Zusammenhang darauf hin, dass
auch Buchbinder Nadelarbeiten versehen, vor allem bei den in bunten Schlingstichen
gearbeiteten Kapitalen.
Abb. 2: Irimbertus Admontensis:
Expositio in quattuor libros Re-
gum. Admont, um 1175. Admont,
Stiftsbibliothek, Cod. 16, S. 37:
Pergamenternaht, teilweise mit
Ziernaht überarbeitet
Abb. 3: wie Abb. 2, S. 53: Perga-
menternaht, teilweise aufgegangen
und überarbeitet
Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
- Titel
- Europäische Bild- und Buchkultur im 13. Jahrhundert
- Autor
- Christine Beier
- Herausgeber
- Michaela Schuller-Juckes
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21193-8
- Abmessungen
- 18.5 x 27.8 cm
- Seiten
- 290
- Kategorien
- Geschichte Chroniken