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Die Briefe des Zurückgekehrten
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Der erste April 1901 So bin ich nach achtzehn Jahren wieder in Deutschland, bin auf dem Weg nach Österreich, und weiß selbst nicht, wie mir zumut ist. Auf dem Schiff machte ich mir Begriffe, ich machte mir Urteile im voraus. Meine Begriffe sind mir über dem wirklichen Ansehen in diesen vier Monaten verlorengegangen, und ich weiß nicht, was an ihre Stelle getreten ist: ein zerspaltenes Gefühl von der Gegenwart, eine zerstreute Benommenheit, eine innere Unordnung, die nahe an Unzufriedenheit ist – und fast zum erstenmal im Leben widerfährt mirs, daß ein Gefühl von mir selbst sich mir aufdrängt. Sind es die überschrittenen Vierzig, und ist auch in mir etwas schwerer und dumpfer geworden, so wie mein Körper, den ich in den Distrikten nie gespürt habe und nun – wenn das nicht eine angeflogene Hypochondrie ist – zu spüren anfange? Ich machte mir einen Begriff von den Deutschen, und noch als ich über Wesel der Grenze zufuhr, hatte ich ihn ganz rein in mir: es war nicht völlig der, den die Engländer vor 70 von uns hatten, nur mit den wenigen Büchern, die ich mit mir führte, dem »Werther« und »Wilhelm Meister«, flog mir mein Bild von den Deutschen auch nicht zusammen (was in diesen Romanen abgespiegelt war, erschien mir immer wie ein Spiegelbild, unendlich vertieft, verklärt, beruhigt), aber auch den unfreundlichen Begriff, den die Engländer unserer Zeit von uns in Umlauf setzen, hatte ich von mir abgewehrt: denn ein Volk verwandelt sich nicht bis zur Unkenntlichkeit, es regt sich nur wie im Schlaf und wirft sich herum, es stellt nur andere Seiten seines Wesens ins Licht. Und nun bin ich seit vier Monaten unter ihnen, habe in Düsseldorf mit ihren Minenleuten gehandelt und in Berlin mit ihren Bankleuten, habe Gerhart auf seinem Amt besucht, Charlie auf seinem Gut, habe um eines Gutachtens willen mich von einer Göttinger Kapazität an eine Gießener weisen lassen, mich in Bremen verhalten und in München umgetrieben, habe mit Ämtern und Behörden zu tun gehabt, Eure Eisen- und Maschinenleute, Eure kleinen und großen Herren gekostet – und weiß nicht, was ich sagen soll. Was hatte ich mir denn vorgestellt? Was hatte ich zu finden erwartet? Und warum ist mir nun, als verliere ich den Boden unter den Füßen? Du kannst Dir denken, daß ich darüber hinaus bin, eine vereinzelte persönliche Erfahrung ins allgemeine zu ziehen. Auch ist mir niemand anders als loyal begegnet, ich habe meine javanesisch-deutschen Negoziationen besser abgewickelt, als ich mir hätte träumen lassen, und bin heute frei, und dazu zwar nicht reich, aber unabhängig, was mehr ist. Nein, es ist nichts in mir, was mich befremdet und quält und mich der Heimat nicht froh werden läßt, es 5
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Die Briefe des Zurückgekehrten
Titel
Die Briefe des Zurückgekehrten
Autor
Hugo von Hofmannsthal
Ort
Berlin
Datum
1907
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
27
Schlagwörter
Briefnovelle
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Der Erste 5
  2. Der Zweite 10
  3. Der Dritte 14
  4. Der Vierte 18
  5. Der Fünfte 24
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