Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Weiteres
Belletristik
Die Briefe des Zurückgekehrten
Seite - 24 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 24 - in Die Briefe des Zurückgekehrten

Bild der Seite - 24 -

Bild der Seite - 24 - in Die Briefe des Zurückgekehrten

Text der Seite - 24 -

Der fünfte Mai 1901 Was ich Dir schrieb, wirst Du kaum verstehen können, am wenigsten, wie mich diese Bilder so bewegen konnten. Es wird Dir wie eine Schrulle vorkommen, wie ein Vereinzeltes, wie eine Sonderbarkeit, und doch – wenn man es nur hinstellen könnte, wenn man es nur aus sich herausreißen könnte und ins Licht bringen. Es ist etwas dergleichen in mir. Die Farben der Dinge haben zu seltsamen Stunden eine Gewalt über mich. Aber was sind eigentlich Farben? Hätte ich nicht ebensogut sagen mögen: die Gestalt der Dinge, oder die Sprache des Lichtes und der Finsternis, oder ich weiß nicht welches Unbenannte? Und Stunden – welche sind diese Stunden? Es verstreichen Jahre, und ihrer kommt keine. – Und ist es nicht kindisch, Dir anzuvertrauen, daß ein Mächtiges, das ich nicht kenne, zuweilen mächtig wird über mich? Wenn ichs fassen könnte, nicht fassen – denn es faßt mich – aber halten, da es wieder schwindet. Aber schwindets? Hat es nicht seine heimliche bildende Kraft in mir, irgendwo, wohin ein innerer steter Schlaf mir selber den Weg verschließt? Und nun, da ich einmal gesprochen habe, treibt es mich, auch mehr davon zu sprechen. Es schwebt mir um diese Dinge etwas mir selber Unerklärliches, etwas wie Liebe – kann es Liebe geben zum Gestaltlosen, zum Wesenlosen? Aber doch, und ja, und doch: damit Du nicht geringdenkst von dem, was ich nun einmal geschrieben, schreibe ich mehr, und da ich zu verstehen suche, was mich da treibt, so ist es, als müßte ich verhindern, daß Du mit Geringschätzung an etwas dächtest – das mir teuer ist. Hast Du je den Namen Rama Krishna gehört? Es ist ganz gleich. Es war ein Brahmane, ein Büßer, einer von den großen indischen Heiligen, der letzten einer, denn er ist erst in den Achtziger Jahren gestorben, und als ich nach Asien kam, war sein Name noch überall lebendig. Ich weiß manches aus seinem Leben, aber nichts, was mir näherginge als die kurze Erzählung darüber, wie seine Erleuchtung, oder seine Erweckung, vor sich ging, kurz, das Erlebnis, das ihn aus den Menschen aussonderte und einen Heiligen aus ihm machte. Es war nichts als dies: Er ging über Land, zwischen Feldern hin, ein Knabe von sechzehn Jahren, und hob den Blick gegen den Himmel und sah einen Zug weißer Reiher in großer Höhe quer über den Himmel gehen: und nichts als dies, nichts als das Weiß der lebendigen Flügelschlagenden unter dem blauen Himmel, nichts als diese zwei Farben gegeneinander, dies ewig Unnennbare, drang in diesem Augenblick in seine Seele und löste, was verbunden war, und verband, was gelöst war, daß er zusammenfiel wie tot, und als er wieder aufstand, war er nicht mehr derselbe, der hingestürzt war. Es war ein englischer Geistlicher von der gewöhnlicheren Sorte, der mir davon 24
zurück zum  Buch Die Briefe des Zurückgekehrten"
Die Briefe des Zurückgekehrten
Titel
Die Briefe des Zurückgekehrten
Autor
Hugo von Hofmannsthal
Ort
Berlin
Datum
1907
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
27
Schlagwörter
Briefnovelle
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Der Erste 5
  2. Der Zweite 10
  3. Der Dritte 14
  4. Der Vierte 18
  5. Der Fünfte 24
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Die Briefe des Zurückgekehrten