Seite - 29 - in Bühne und Kostüme
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mir passiert es immer wieder, dass ich gefragt werde, ob ich von
meinem beruf gut leben könne. und immer wieder muss ich zu
meiner eigenen verwunderung antworten: Ja, es geht sehr gut.
Allerdings ist dieses Leben kein einfaches.
Geprägt von widersprüchen wie: Selbstdisziplin und Disziplin-
losigkeit, Fleiß und müßiggang, intensiven Probenzeiten und
Freiphasen, dem eigenen Anspruch gerecht zu werden und
gleichzeitig sich in einem ensemble einzubinden, egoismus und
Offenheit, Eitelkeit und Demut, Versagensangst und Vertrauen
in die Kolleg*innen und die eigenen Fähigkeiten, ist es oft nicht
einfach, die Balance zu finden und zu halten. Wahrscheinlich sind
es diese widersprüchlichkeiten, die diesen beruf so interessant
und rätselhaft machen.
Schauspieler*innen brauchen raum für ihr ego und die bühne
scheint der beste ort dafür zu sein. wenn wir ins Theater gehen,
bewundern wir oft den mut und die Leistung der Spieler*innen.
ich höre dann oft Sätze wie: „Dass Sie sich den ganzen Text mer-
ken können“ oder „ich könnte das nicht“. Das Textlernen gehört
zum Alltag und ist eine lästige Arbeit und ich bin immer öfter ge-
neigt zu antworten: „berufsgeheimnis!“. was ich natürlich nicht
tue. Jeder Schauspieler macht das anders: sich den Text aufs
band sprechen und damit durch den Park gehen, am Schreib-
tisch sitzen und stupide lernen oder aber gar nicht, sondern mit
der Souffleuse auf der Probe, um nur drei Beispiele zu nennen.
bei mir persönlich kommt es ganz auf den Text an, wie ich ihn
lerne. Da gibt es für mich keine methode.
Schauspieler*innen sind keine revolutionäre
noch nie haben Schauspieler*innen durch ihre Profession eine
politische bewegung ausgelöst oder befördert. wir erklären uns
solidarisch mit politisch korrekten bewegungen wie Fridays for
Future, LGbT, ehe für alle etc. und gleichzeitig gibt es seitens
der darstellenden Kunst keine initiative etwas gesellschaftlich zu
verändern. Das geht nur gemeinsam mit anderen.
Schauspieler*innen sind Solist*innen, einzelkämpfer*innen. Sie
müssen im zentrum erscheinen, damit ihre Kunst wirkt. Sich in einem ensemble ständig beweisen zu müssen, sich neu zu po-
sitionieren oder seine Stellung zu verfestigen, setzt hohes Refle-
xionsbewusstsein voraus, was aber wieder zu Folge hat, dass
man sich selbst oft wichtiger nimmt als den inhalt, worum es doch
eigentlich gehen soll. oft beobachtet und auch selbst schon er-
lebt. „bin ich gut?“, „werde ich wahrgenommen?“, „wieso hat der
Kollege eine Szene mehr als ich?“, „wieso spielt der diese rolle
und nicht ich?“— und auch ein Klassiker: „Also, ich würde das ja
ganz anders spielen.“ All diese äußerungen resultieren aus ei-
nem übersteigerten, (vielleicht gestörten) Selbstwahrnehmungs-
prozess.
man kann das verurteilen, aber man sollte nie vergessen, dass
Schauspieler*innen Solist*innen sind, die erst in der Gruppe (im
ensemble) zur entfal-
tung ihrer Kunst kom-
men. Sie setzen sich
nicht nur mit sich selbst
auseinander, sondern
vor allem auch mit dem Gegenüber (Kolleg*in, Publikum, regis-
seur*in) und im besten Fall geschieht das auf produktive Art und
weise.
Aber egal aus welchen Gründen das passiert: es entsteht in die-
sem Prozess immer eine reibung zwischen der Darstellung, dem
Dargestellten und der oder dem Darstellenden — ein Konflikt, der
für das moderne Theater eminent wichtig ist, weil dadurch Span-
nung erzeugt wird, der man eher geneigt ist zuzuschauen als har-
monischem miteinander.
was unterscheidet Schauspieler*innen von nicht-Schauspie-
ler*innen?; und: Sind wir nicht alle irgendwie Schauspieler*in-
nen?
wir bewegen uns im Alltag, am Arbeitsplatz, in der Familie oder
unter Freund*innen und bekannten und wir nehmen immer ande-
re rollen an. Schauspieler*innen im Theater tun das alles auch,
gleichzeitig arbeiten sie auch damit in ihrer Darstellung. Sie ler-
nen Texte, die nicht ihrem Geist entspringen und machen sie zu
(...) Schauspieler*innen sind keine revolutionäre
noch nie haben Schauspieler*innen durch ihre Pro-
fession eine politische bewegung ausgelöst oder
befördert.
wie ist das so, als Schauspieler?
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Buch Bühne und Kostüme"
Bühne und Kostüme
- Titel
- Bühne und Kostüme
- Herausgeber
- Petra Simon
- Elemer Ploder
- Martina Thaller
- Verlag
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-763-2
- Abmessungen
- 24.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 124
- Kategorie
- Kunst und Kultur